Prinz-Albrecht-Straße
rußgeschwärztes Gesicht grinste ihm nach, erleichtert, schadenfroh.
Nach ein paar Stunden gaben sie es auf. Das Haus war jetzt ganz still. Der Einbrecher sah auf die Uhr. Schon fünf. Gleich mußte der echte Heizer kommen. Der Mann lehnte sich an die Tür, horchte, hörte müde, schlürfende, unausgeschlafene Schritte, spannte sich. Er beugte sich vor, nahm die Schaufel, hob sie.
Ein Schlag. Der Eintretende fiel um wie ein Sack.
Der Einbrecher wuchtete sich den Rucksack über die Schulter. Nerven jetzt, dachte er. Er stapfte gemächlich nach oben. Ging genau auf den Posten zu. Der Soldat nickte. Langeweile machte ihn gesprächig.
»So schön möcht ich's haben«, sagte der Gefreite. Er spuckte auf das Pflaster, »schon am Morgen Feierabend.«
»Wärst du Heizer geworden«, versetzte der Unbekannte. Dann schlenderte er weiter. Langsam. Unauffällig. Betulich.
»He, Kumpel!« rief ihm der Posten nach.
Der Einbrecher blieb stehen. Der Soldat deutete auf den Rucksack: »Hast wohl Briketts geklaut für zu Hause?«
»Du kannst mich mal …«, rief der Mann mit dem verschmierten Gesicht gleichmütig zurück.
Der Soldat lachte.
Der Mann mit dem Rucksack holte kräftig aus. Der dämmrige Morgen gab sein Gesicht frei. Es war straff. Die Augen waren schräg zueinander abgesetzt, das Kinn ausgeprägt.
Dieses Gesicht gehörte dem Agenten Werner Stahmer, der den ersten Teil seines neuen Auftrags ausgeführt hatte: Einbruch ins Heeresarchiv.
Wäre er mißglückt, hätten vielleicht fünftausend Menschen eine Chance gehabt, am Leben zu bleiben.
34
Gegen zehn Uhr vormittags herrschte im Reichssicherheitshauptamt Hochbetrieb. Türen schlugen. Schreibmaschinen ratterten. Fernschreiber tickten. Telefone klingelten. Das Haus vibrierte in steter Unruhe, bewegte sich lautlos wie in einem Rollstuhl auf Gummirädern.
Werner Stahmer überquerte den Gang mit schnellen, sicheren Schritten.
Er lief an Büros vorbei, in denen der Zweite Weltkrieg vorbereitet wurde. Er passierte Zimmer, von denen aus man die Kirchen verfolgte. Er durchlief die Ressorts ›Massenvernichtung‹ und ›Gegenspionage‹. Er durchschritt die Sabotageabteilung und die Verwaltungsräume der politischen Lager.
Jedes Verbrechen des Dritten Reiches wurde hier geplant, organisiert und befohlen … Im Namen des Teufels, der blond war, Heydrich hieß und dessen bodenloser Haß die lautlose Maschinerie der Vernichtung ölte.
Der Agent erreichte das Referat ›Ost‹. Er klopfte gleichgültig an die Tür. In der Hand hielt er eine dicke Aktentasche mit den in der Nacht gestohlenen Dokumenten aus dem Heeresarchiv.
Er nickte dem Vorzimmermädchen zu und erreichte das Chefbüro. Der Leiter der Abteilung ›Ost‹, SS-Standartenführer Hermann Löbel, erwartete ihn schon. Er war einer dieser Typen, für die das Dritte Reich eine bessere Verwendung zu haben glaubte als das Zuchthaus. Und so avancierte er vom Totschläger zum Hoheitsträger. Niemand nahm ihn ernst. Seine Pläne hatten den Hang zum Monumentalen. Man witzelte im RSHA, daß Wodka das einzige sei, was er vom Osten verstünde …
Löbel empfing ihn stehend. Er lächelte wie immer, als Stahmer eintrat. Er begrüßte ihn zweihändig …
»Befehl ausgeführt«, meldete der Agent. »Hier sind die Akten …«
»Weiß schon, weiß schon«, wehrte der Standartenführer jovial ab.
»Wieso?« fragte Stahmer leicht enttäuscht.
»Na«, erwiderte der Ostspezialist grinsend, »ich habe doch längst die Meldung des Heeresarchivs über den nächtlichen Einbruch auf dem Dienstweg erhalten.«
Er deutete auf ein Schreiben auf seiner Tischplatte. »Mensch, Stahmer, was meinen Sie, wie ich die Kerle erst mal zusammengestaucht habe … außerdem hat Heydrich angeordnet, daß wir federführend den Einbruch ermitteln … Gefressen?«
Werner Stahmer nickte.
»Die Nacht sieht man Ihnen gar nicht an«, lobte Löbel, »war's schwierig?«
»Es ging, Standartenführer.«
»Ist ganz gut, daß Sie keinen umgelegt haben«, sagte der Mann, der bereits auf dem Papier Millionen Osteuropäer wie Ungeziefer vertilgte …
»Und jetzt geht's los.«
Stahmer zündete sich eine Zigarette an. Seine Gedanken gingen eigene Wege. Er dachte an Margot, er sah sie vor sich und lächelte. Ich rufe sie gleich heute abend an, überlegte er. Zwei Groschen kostet das Gespräch. Die Hände in seiner Tasche suchten mechanisch nach Kleingeld. So überhörte er zunächst Löbels Weisung.
Stahmer nahm ihn sowieso nicht für voll. Für ihn
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