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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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zum Fenster hinaus. Daß nichts zu sehen war, steigerte ihre Angst. Sie dachte im Kreis. Sie versuchte aus einem Kessel auszubrechen, in den sie blind und willig hineingelaufen war. Ein paar Tage Skifahren, Urlaub auf Staatskosten, hatte sie sich selbst überredet, als sie zu der seltsamen Fahrt nach Prag eingeladen worden war. Gerade der Schuß Ungewißheit, das Geheimnisvolle hatten ihr Beine gemacht.
    Jetzt schmeckte das Abenteuer schal und bitter im Mund wie Tabletten. Tabletten konnte man ausspucken, aber die Fahrt an die Moldau war nicht mehr rückgängig zu machen.
    Nicht ihre Folgen.
    Es klingelte noch immer nicht.
    Wahnvorstellungen multiplizierten sich wie Ungeziefer.
    Das junge, lebenslustige Mädchen kannte Deutschlands neue Herren noch nicht, hatte aber intuitive Befürchtungen. Vielleicht kam die Abneigung durch den Vater, der in die Politik geflüchtet war, weil ihn das Leben zu kurz gehalten hatte. Seit Jahren predigte er mit dem komischen Eifer eines Sektierers, faselte von Deutschlands Größe, vom Ende der Not, vom sozialen Aufstieg, der an ihm vorbeigegangen war, als der erste Segen über die alten Kämpfer niederging. Der alte Puch hauste immer noch als Graveur in einem dämmerigen Kellerloch. Sein Glaube an den allgemeinen deutschen Wohlstand hatte sich nicht verändert, sondern nur verbiestert. Wenn er andere von seiner Weltanschauung überzeugen wollte, hörte es sich an, als ob er sich selbst erst überreden müßte. Ira wertete das als Schrulle, die ihr auf die Nerven ging. Sie war einfach ausgezogen, weil es ihr im Souterrain zu muffig und düster war.
    Ira hatte ihre Mutter nicht gekannt. Der Vater heiratete vor ein paar Jahren zum zweiten Male, so daß ihre beiden kleinen Halbschwestern sie mit Tante anredeten. Sie verstand sich gut mit ihrer Stiefmutter.
    Es klingelte. Ira hatte Stunden Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten. Aber die Angst lähmte sie jetzt. Ein Schatten fiel wie ein Schleier über ihr Gesicht. Ihre Iris wurde hell, fast farblos. Dann riß sie die Tür mit einem Ruck auf.
    Es war ihre Freundin Margot. Ira wollte lächeln, aber es gelang ihr nicht. Sie spürte, wie ihr Gesicht sich verzerrte.
    »Ich … erwarte Besuch«, sagte sie zu Margot.
    »Unfug«, versetzte die Freundin. »Du hast Angst.«
    »Geh bitte«, bat Ira.
    »Ich habe mir's überlegt«, sagte das adrette, zierliche Mädchen, »ich weiß einen Ausweg.«
    »Er war hier«, sagte Ira fast gegen ihren Willen.
    »Und?«
    »Ich glaube … er kommt wieder … und holt mich dann.«
    »Ich mach' dir einen Vorschlag«, versetzte die Freundin resolut. »Du gehst zu deinem Vater, und ich beziehe hier Quartier … Vielleicht wird die Geschichte unangenehm, und ich kann dich warnen. Dein Vater hat doch Beziehungen … oder?«
    »Ja«, versetzte Ira.
    »Also.«
    Die Freundin duldete keinen Widerspruch. Ira zog um, mehr gezogen als freiwillig. Die Hilfe selbst war freilich mehr guter Wille als von Nutzen. Falls man Ira greifen wollte, konnte sie ein Wohnungstausch nicht mehr schützen als ein hölzerner Blitzableiter. Aber die Nerven wurden von dieser lähmenden Angst befreit.
    »Hast du schon die Zeitung gelesen?« empfing der alte Puch seine Tochter. Seine kurzsichtigen Augen zuckten hinter einer dicken Brille, die den stupiden Fanatismus deckte. »Der Führer baut auf«, sagte er.
    »Wann kommst du an die Reihe?« fragte Ira ironisch.
    »Man muß das große Ganze sehen«, erwiderte der Mann. »Du bist nichts … Dein Volk ist alles«, leierte er herunter.
    »Die Familie ist auch noch da«, warf Iras Stiefmutter ein. Die beiden Frauen lächelten sich zu und blickten zum Fenster hinaus.
    Die Kinder, vier und sechs Jahre alt, stürzten herein und auf die Tante zu. Sie begrüßten sie lärmend, weil sie sie mochten und es sicher wieder Eis gab.

32
    Die Zeit verging Werner Stahmer viel zu langsam. Es war einer dieser Abende, die man mit Schnaps oder Mädchen totschlagen mußte. Er duschte sich und spürte bessere Laune. Er nahm ein Taxi und fuhr in den Westen, ließ sich über den Kurfürstendamm treiben, suchte irgendeine Unterhaltung. Ira fiel ihm ein, die Begleiterin. Einen Moment lachte er über sich selbst. Ich bin ja nicht nur ein Kavalier aus Holz, sagte er sich, sondern auch noch ein Esel an Humanität. Ich lass' mich von einem Mädchen verraten, fast totschießen und decke sie noch bis zum nächsten Mal, wenn es mich vielleicht gründlich erwischt.
    Ich will ihr eine Abreibung geben, werde einen Schnaps mit

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