Prinz für die Köchin
Kuss. Er macht eine klare Ansage, wie?« Mitch betrachtete sie mit liebevoller Strenge. »Wenn du genau hinschaust, dann siehst du durch die andere Tür im Hintergrund – durch die das junge Mädchen höchstwahrscheinlich gerade gekommen ist – einen Haufen Frauen im Nebenzimmer beten. Es sieht ja ein bisschen erschrocken aus, das arme Ding«, fuhr er schmunzelnd fort. »Aber Küssen scheint offensichtlich sehr viel mehr Spaß zu machen als Beten. Weißt du was, dein Typ ist echt gut – so langsam gefällt er mir immer besser.«
»Ja, es ist sehr passend«, stimmte Imogen lächelnd zu. Dann dachte sie an Enzo, und ihr Lächeln verblasste. »Und das Bild ist wirklich richtig berühmt?«
»Ziemlich«, meinte Mitch nachdenklich. »Aber, ich meine, du brauchst bloß ›Kuss‹ und ›heimlich‹ oder so was zu googeln, wenn’s das ist, was einem im Kopf rumgeht, dann taucht es wahrscheinlich auf.«
Nachdem Mitch gegangen war, tippte Imogen vorsichtig eine Antwort: »Merci.«
Wieder schien er auf sie gewartet zu haben, und seine Antwort kam rasch in derselben Sprache. »Es tut mir leid, dass ich dich so plötzlich verlassen musste.«
Enzo? War das möglich? Imogen stieß langsam die Luft aus, dann antwortete sie: »Bitte sag mir, wer du bist.«
»Sag mir, Imogen – wie dringend willst du das wirklich wissen?«
Das war ja ziemlich schlau von ihm, dachte sie verdutzt. Wie konnte er nur erraten haben, dass sie nicht mehr logisch denken konnte, wenn sie ihn küsste? Vielleicht, weil es ihm genauso ging?
»Ich möchte es wirklich wissen«, tippte sie nach einer kurzen Pause. »Aber wenn ich mit dir zusammen bin, vergesse ich das total. Es ist seltsam.«
»So seltsam ist das gar nicht. Wir waren beschäftigt. Würdest du es gern wieder tun?«
Gerade als sie begeistert »Ja ja ja ja ja« tippen wollte, riss Imogen sich zusammen und starrte auf den Bildschirm. Moment. Denk nach. Was tat sie hier eigentlich? War das Enzo oder jemand ganz anderes? Es war nicht mehr Valentinstag, überlegte sie, was sie also jetzt tun sollte, wäre doch wohl, ein Treffen von Angesicht zu Angesicht zu arrangieren. Ja, genau. Während sie noch zögerte, kam eine weitere Mail. Sie enthielt ein französisches Wort, das sie zuerst nicht entschlüsseln konnte: odorat. Dann fiel es ihr wieder ein, das war der Name eines der fünf Sinne. Er hatte geschrieben: »Übrigens, ich vermute, dein Geruchssinn ist sehr ausgeprägt – schließlich bist du Köchin. Ist das so?«
Ein sonderbarer Richtungswechsel, dachte Imogen. »Ja«, tippte sie. »Warum?«
»Das ist eine Überraschung. Ich melde mich, Imogen. Over and out.«
Eine Überraschung. Wie wunderbar verlockend. Neugierig traf Imogen eine Abmachung mit sich selbst. Sie würde ihm erlauben, seine nächste Karte auszuspielen, und die Überraschung abwarten, und dann würde sie darauf bestehen, dass er seine Identität preisgab. Definitiv, ohne Wenn und Aber.
33
Nadine Picores Artikel im Nice-Matin war vernichtend. Zwar gab die Kritikerin ganz nebenbei zu, dass aus Boudins Küche noch immer gutes Essen kam, hauptsächlich jedoch ließ sie sich über die schleppende Bedienung und die altbackene Inneneinrichtung des Restaurants aus. Außerdem strich sie – ziemlich gemein, wie Imogen fand – den verlorenen Goldenen Löffel des Boustifaille heraus. Monsieur Boudin hatte jegliche Erwähnung oder Diskussion des Artikels seitens der Mitarbeiter rasch untersagt, ansonsten jedoch legte er eine besorgniserregende Apathie an den Tag. Nichts ließ darauf schließen, dass er an einer Strategie arbeitete, den Ruf des Boustifaille wiederherzustellen.
Die Gäste dagegen reagierten sofort – die Reservierungen waren fast auf null zurückgegangen. Touristen kamen noch immer aus Neugier ins Boustifaille, doch das Restaurant musste mehrere niederschmetternde Absagen von bekannten, wichtigen Besuchern hinnehmen. Zum ersten Mal seit Jahren beschloss der Bürgermeister von Nizza, seinen Geburtstag im La Rascasse zu feiern. Filmstars aus Hollywood, einst regelmäßig eine Zierde des Speisesaals, beschränkten sich jetzt ausschließlich auf das Restaurant des Hôtel de la Plage, das mit zwei Goldenen Löffeln aufwarten konnte.
Mittlerweile hatte Imogen nach einigen Tagen hektischer Seelenforschung beschlossen zu klären, ob Enzo an dem Valentins-mysterium beteiligt war. Sie suchte ihn an seinem Arbeitsplatz auf, einer Herrenboutique namens Les Cowboys de Minuit, in dem sich Anwärter fürs »Sehen und
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