Prinz für die Köchin
Cremefarbenes auf der Arbeitsplatte liegen. Dieses Etwas erwies sich als Briefumschlag, auf dem in roter Tinte der Buchstabe »I« prangte – für Imogen?
»Ist das für mich?«, rief sie und hielt den Umschlag hoch. »Diese Nachricht?«
Pierrot, der gerade in der Speisekammer gewesen war, schloss die Tür und kam zu ihr herüber. »Vielleicht hat ihn ja einer von den Gästen hingelegt«, meinte er.
»Was denn für Gäste?«
»Ein paar Leute wollten sich die Küche ansehen«, meldete sich Dimitri zu Wort.
»Ein Haufen Ausländer«, fügte Régis hinzu.
»Als du gerade Pause gemacht hast, Imogen«, erklärte Bastien und trat zu ihnen. »Boudin hätte natürlich Nein gesagt, aber ich denke, es ist in unserem eigenen Interesse, uns entgegenkommend zu zeigen, bei all dem Klatsch und Tratsch über unsere Probleme – also habe ich zugestimmt.«
»Wer hat sie denn rumgeführt?«, wollte Imogen wissen, während sie den Umschlag öffnete.
»Ich«, sagte Larissa. »Sie wollten sich bloß mal umsehen, und sie haben jedem Guten Tag gesagt. Sie waren nett – sehr höflich.«
In dem Umschlag fand Imogen einen zweimal gefalteten Briefbogen mit einer Nachricht auf Französisch in eleganter roter Blockschrift: » DAS ESSEN WAR TOLL , ABER NICHT SO TOLL , WIE DICH ZU KÜSSEN . ICH WEISS , ES IST VIELLEICHT EIN BISSCHEN VIEL VERLANGT , DOCH IRGENDWANN MÖCHTE ICH VON DIR GEFÜTTERT WERDEN – GANZ ALLEIN UND GANZ LANGSAM . UND HINTERHER DEINE FINGER ABLECKEN . ICH MELDE MICH .« Sie errötete heftig, faltete das Blatt eilig wieder zusammen und steckte es in die Brusttasche. Er war hier gewesen, in der Küche, an ihrem Posten, um das hier zu hinterlegen – ihre Überraschung. Das war absolut wunderbar, aber eins verwirrte sie: Was hatte diese Nachricht mit ihrem Geruchssinn zu tun?
»Und, war die Nachricht für dich?«, fragte Larissa neugierig und sah sie durchdringend an.
»Ja.« Wie durch ein Wunder gelang es Imogen, mit ganz ruhiger Stimme zu antworten.
»Von wem ist sie denn?«
»Na ja, ich weiß es nicht genau. Das ist so eine Art … Scherz. Wollte einer von den … Gästen mich sprechen?«
»Natürlich nicht!«, wehrte Larissa diese vermessene Frage mit gefurchter Stirn ab. »Sie wollten alle Monsieur Boudin kennenlernen, aber wir haben natürlich dafür gesorgt, dass er nicht in der Küche war, als sie reinkamen.«
»Und woher kamen sie noch mal, hast du gesagt?«
»Ich weiß nicht – sie haben Englisch gesprochen.«
»Oh«, improvisierte Imogen. »Englische Touristen? Vielleicht kannte mich ja einer von denen.«
»Das waren keine Touristen«, meinte Manu. »Das waren Geschäftsleute.«
»Mit ’nem Spesenkonto«, bestätigte Bastien. »Es waren Australier, aus Sydney. Hast du Freunde in Australien?«
Australien? Imogen war völlig verwirrt.
»Allez, Freunde«, hörte sie Bastien mit überzeugender Autorität rufen. »Bald geht der Abendservice los. Auf eure Posten!«
Also beendete sie das Gespräch abrupt mit einem Schulterzucken und machte sich an ihre Arbeit.
Als sie nach dem Dienst ins Paperback Wonderland kam und völlig in Gedanken versunken auf die Treppe zustrebte, hörte sie Mitch rufen: »Hey, warte! Hast du die gesehen?«
Auf dem Ladentisch lag ein riesiger Blumenstrauß, in Zellophan gewickelt und mit einer aufwändigen roten Schleife verziert. Langsam ging Imogen hin und hob ihn auf. Blumen! Bestimmt von ihm . Bei näherem Hinsehen entpuppte sich der Strauß als ein enormes Arrangement aus Nelken und Maßliebchen in schrillen Farben: Orange, Pink, Gelb. Das Ganze war sehr grell und ordinär und, wie Imogen unwillkürlich im Stillen dachte, ziemlich hässlich. Sie starrte den Strauß an und empfand leise Enttäuschung darüber, dass ihr geheimnisvoller Küsser so einen schlechten Geschmack hatte, wenn es um Blumen ging. Dann sah sie Mitch an, der ihr zwischen Daumen und Zeigefinger einen kleinen Briefumschlag hinhielt. Ihr Herz machte einen Satz: noch eine Nachricht! Und, dachte sie bei sich, noch eine weitere Überraschung – diesmal eine duftende.
Die Dinge entwickelten sich wirklich prächtig. Also würde er als Nächstes bestimmt persönlich in Erscheinung treten. Es war unglaublich aufregend. Sie lächelte Mitch an und zog die Karte heraus.
»Und? Sind die von ihm?«, wollte Mitch wissen.
»Ich weiß nicht.« Keine handschriftliche Botschaft in roter Tinte diesmal – nur eine anonyme schwarze Druckerzeile. Sie hielt die Karte hoch, damit Mitch sie lesen konnte: » VON
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