Prinz für die Köchin
Amaury und umfasste leicht Bunnys Ellenbogen. »Ich dachte, es würde ihr Freude machen, den Giacometti-Hof zu besichtigen.«
Bunny nickte begeistert und strahlte ihren Landsmann an. »Ich wünschte, ich könnte hier wohnen! Stellen Sie sich doch mal vor, jeden Morgen hier draußen zu frühstücken, umgeben von all diesen klassischen Kunstwerken!«
Amaury lächelte seine Cousine an. »Es wäre sogar noch schöner, von deinen Kunstwerken umgeben zu frühstücken. Die sind so viel zeitgemäßer.«
Imogen sog die Wangen ein. Amaury trug ein bisschen dick auf. Könnte Faustina recht gehabt haben, war dies das Verhalten eines Mannes, der auf eine gute Partie aus war?
»Und Sie, Miss«, erkundigte sich der amerikanische Gentleman höflich, nahm den Hut ab und wandte sich an Imogen. »Woher kommen Sie? Sind Sie auch Künstlerin?«
»Ich komme aus London.« Imogen bemerkte, dass der Mann, obgleich er leicht gebeugt war und schneeweißes Haar hatte, eine Art unbezähmbare, mephistophelische Jugendlichkeit ausstrahlte, besonders seine verschmitzten blauen Augen. »Und ich bin keine Künstlerin«, setzte sie grinsend hinzu. »Bloß Köchin. Und da auch noch Anfängerin.«
»Oh, sie ist eine tolle Künstlerin!«, widersprach Bunny. »Sie hätten mal die Torte sehen sollen, die sie für meine ValentinstagsParty gemacht hat. Die war wie eine Skulptur.«
»Reinstes Rokoko«, bestätigte Amaury.
»Und sie arbeitet im Boustifaille!«
»Okay, Bunny«, sagte Imogen verlegen. »Vielen Dank.«
Der Amerikaner schmunzelte. »Vom Feinsten! Klingt, als wären Sie eine junge Dame, mit der man Freundschaft schließen sollte. Sagen Sie, wohnen Sie hier im Ort?«
Mittlerweile hatten sie sich alle auf den Weg durch das betörende Gartenlabyrinth gemacht, das aus niedrigen Steinmauern bestand, hier und da von Skulpturen unterbrochen. Während Imogen von Saint-Jean-les-Cassis erzählte, von dem Restaurant und von Mitchs Gastfreundschaft, schlenderten Bunny und Amaury voraus, um eine merkwürdige Statue genauer zu betrachten: glänzend rote Puppenbeine, die Knöchel überkreuzt, und darüber blaue und gelbe Rohrstücke und Maschinenteile. Monty umkreiste das Gebilde schnüffelnd, so hochmütig wie jeder zweibeinige Kunstkritiker.
»Die hier«, erläuterte ihr Begleiter und blieb davor stehen, »ist von Joan Miró – Sie wissen schon, der Spanier. Umwerfend, nicht wahr? Sie heißt Jeune Fille S’Évadant. «
»Junge Frau … bricht aus?«, schlug Imogen als Übersetzung vor.
»Ja, genau«, bestätigte ihr neuer amerikanischer Freund. »Sagen Sie, fühlen Sie sich hier auch so?«
»Sie meinen, als wäre ich ausgebrochen?«, fragte Imogen stirnrunzelnd.
»Nun ja, ja. Oder vielleicht sind Sie ja noch dabei auszubrechen. Ich wohne schon sehr lange hier«, fuhr er fort und legte den Hut über sein Herz, »aber ich komme mir immer noch vor wie befreit, nur weil ich hier bin und nicht … dort. Verstehen Sie?«
»J-ja, ich glaube schon«, antwortete Imogen und dachte an das Familienleben, das sie in Archway zurückgelassen hatte. Und an dem Ganzen war noch mehr dran. Allmählich fühlte sie sich wirklich wie befreit. Bestimmt hatte das etwas mit dem milden Klima zu tun, das ihr außerdem ein ganz neues Selbstvertrauen beschert hatte, was ihren Körper anging. Sie hielt sich jetzt gerader, ihre Kurven machten sie nicht mehr so verlegen. Auf Bunnys Party dieses Kleid zu tragen, hatte sich als eine Art Durchbruch erwiesen. Ihre Figur war ihr nicht mehr peinlich. Stattdessen fing sie langsam an, sich als … nun ja, als feminin anzusehen, und zwar in einem guten Sinne.
Sie und der Amerikaner tauschten ein Lächeln. »Ich bin froh, dass Sie in der Fremde ein Zuhause gefunden haben«, sagte der Mann. »Dort im … wie heißt es doch gleich?«
»Mitch’s Paperback Wonderland.«
»Genau. Hört sich an, als wäre es genau das Richtige für Sie.«
Er hatte eine so gewinnende Art, dass Imogen plötzlich das dringende Bedürfnis empfand, diesem Wildfremden von ihrer misslichen Lage zu erzählen – von dem Kuss auf Bunnys Party, der Begegnung während des Stromausfalls, einfach alles. Sie wollte ihm sogar von dem Gespräch mit Enzo berichten, obwohl sie sich deswegen so ungeheuer dämlich vorkam, dass sie niemandem davon erzählt hatte – weder Mitch noch Bunny, und erst recht nicht Faustina. Schon öffnete sie den Mund, dann schüttelte sie ganz leicht den Kopf und besann sich eines Besseren. Warum sollte ihn das interessieren?
Der Mann
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