Prinzessinnensöckchen (German Edition)
man im Laufe des Lebens zu hören bekommt. Hier war jemand weggerannt, das konnte man deutlich erkennen. Sie machte ein paar Aufnahmen. Gute Recherchearbeit, würde jeder vernünftige Redakteur loben. Köhler war nicht vernünftig.
Es ging jetzt ein wenig bergab, hier war es auch noch rutschig vom letzten Regen vor drei Tagen, dunkel, kaum Sonnenlicht, das bis auf die Erde drang. Eine breite Spur, als sei hier jemand gestürzt. Konnte das sein? Ein niederes Stück Buschwerk war fast aus dem Boden gerissen worden. Und das dort an dem Blatt? Blut? Sie besah es sich aus der Nähe, fotografierte es. Blut? Hm, vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie hielt den Atem an und horchte. Nur Vögel.
Das Papiertaschentuch hätte sie beinahe übersehen. Es hing zerknüllt zwischen den Blättern eines großen Farns und da war nun wirklich Blut dran. Nicht viel, aber eindeutig. Ein leichtes Nasenbluten vielleicht. Fotografieren. Der Spur weiter folgen. Sie hatte sich sowieso längst verlaufen.
Nach ungefähr fünf Minuten sah sie die ersten Häuser von Oberwied. Carmen atmete auf und versuchte zu pfeifen.
3
Hanna war heute nicht in der Schule gewesen. Das war nichts Besonderes. Manchmal schwänzte Emily mit, dann hockten sie in Hannas Zimmer und zockten am Laptop oder verarschten Jungs in den Chats. Damit hatte ja alles angefangen, die ganze verdammte Geschichte, mit dieser kranken Mail.
Diesmal hatte Hanna einen Grund, nicht in die Schule zu gehen. Ihr linkes Knie hatte geblutet und wehgetan, durch ihr Gesicht zogen sich rote Striemen, aber das war längst nicht das Schlimmste gewesen. Sie hatte nichts gesagt, nichts getan, einfach nur so dagelegen, nachdem sie gestürzt war. Die schöne Hanna, die jeden Morgen zwei Stunden das Bad blockierte, jede Woche die Haarfarbe wechselte, jetzt hing ihr das lange Blond strähnig und schmutzig über den Augen, die Emily nur anstarrten, als sähen sie durch sie hindurch. »Steh auf!« flehte Emily, aber Hanna stand nicht auf. Sie nahm den Kopf der Freundin in den Schoß, glättete ihre Haare, streichelte drüber. Keine Ahnung, warum sie das tat. Machte man doch immer in den Filmen, wenn jemand traurig war oder schockiert. Hatte noch niemand mit ihr gemacht, schon gar kein Junge, Mädchen streichelten sich manchmal so.
Komisch, aber das Blut ekelte sie nicht, das Blut in Hannas Gesicht, das Blut, das den Stoff von Hannas weißer Hose über dem Knie rot färbte. Gut, dass sie Papiertaschentücher dabei hatte. Sie nahm eins, befeuchtete es mit Spucke und begann vorsichtig damit Hannas Wangen abzutupfen. Einmal stöhnte Hanna.
»Was ist los?« Sie wusste nicht mehr, wie oft sie die Frage gestellt hatte. »Sag doch! Tut dir was weh? Verstehst du mich?« Irgendwann, nach einer, wie es Emily schien, endlosen Zeit, hatte Hanna etwas gesagt. »Die Socke.« Sonst nichts. Es wiederholt. »Die Socke.« Dann atmete sie tief und schloss die Augen, aber sie schlief nicht, ihr Atmen kam unregelmäßig, manchmal kaum zu spüren in Emilys Schoß, manchmal wie ein Aufbäumen.
Emily wusste nicht, wie lange das gedauert hatte. Sie versuchte Hannas Oberkörper aufzurichten, es gelang ihr endlich. Hanna stand auf, wacklig, unsicher. In ihrem Blick lag noch immer etwas, das Emily nicht deuten konnte. »Sag doch, was ist mit der Socke?«
Hanna schien die Frage nicht gehört zu haben. Sie schien nicht zu merken, dass die Freundin bei ihr war. Sie hinkte ein paar Schritte, drohte abermals zu stürzen, Emily sprang auf, um sie zu stützen, aber es war nicht nötig. Langsam bahnten sie sich ihren Weg durch das Buschwerk, bis sie die ersten Häuser sahen.
Emily hatte es aufgegeben, weiter zu fragen. Eigentlich wollte sie gar nicht wissen, was Hanna gesehen hatte. An der Bushaltestelle hatten sie sich getrennt, das heißt Hanna war einfach in ihre Straße gegangen, immer noch humpelnd, ohne die Freundin eines Blickes zu würdigen. Auch das kam ja manchmal vor, wenn sie gestritten hatten, wenn Hanna zickte. Aber diesmal...
Und wie sie selber aussah! Emily betrachtete sich im Spiegel, nur gut, dass ihre Mum noch arbeitete. Ein Ast musste sie an der Stirn erwischt haben. Sah nicht so schlimm aus wie bei Hanna, aber trotzdem. Sie säuberte die Wunde, deckte sie mit Puder ab. Duschen, sie musste jetzt unbedingt duschen.
Aber das half nicht wirklich. Sie dachte an Hanna, an das, was sie gesehen haben konnte, es fiel ihr nichts ein, weil ihr alles einfiel, jeder Schrecken, jeder Dämon. Sollte sie anrufen? Lieber
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