Prisma
Azur bei zwei seiner zehn Beine packte, zog er ihn in Sicherheit. Der Busck machte keinen Versuch, diesen tollkühnen Rettungsversuch zu vereiteln, obgleich Evan nicht wusste, ob er nicht laute Wutschreie in Frequenzen ausstieß, die sich außerhalb seines Hörbereichs befanden.
Aber der Angreifer ließ den Körper nicht mehr weiter herabsinken, sondern drehte sich um und starrte den zweibeinigen Störenfried an, wobei er heftig pulsierte. Das Licht hatte überhaupt keine Wirkung auf Evan.
Er hatte genügend Zeit, seine Sachen zusammenzupacken und in die Nacht hinauszugehen. Wenn er sich ab und zu umdrehte, sah er immer noch die ständigen Lichtimpulse, die der Busck erzeugte. Er folgte ihm unermüdlich, auch als Evan sich weit außerhalb seiner Reichweite befand, und wollte offenbar nicht wahrhaben, dass seine so sichere Beute doch noch entkommen war. Evan tat das Wesen in seiner Verwirrung sogar kurzfristig leid. Es war nicht für die Jagd geschaffen, sondern eher dazu, in Ruhe seine Mahlzeiten in Gestalt von total gelähmten Opfern einzunehmen, ähnlich wie ein Seestern eine Auster verdaute. Evans Flucht lag weit außerhalb seines Erfahrungsbereichs.
Trotz seines schneckenhaft langsamen Gangs blieb Evan nicht stehen, ehe die letzten Lichtschimmer vom Wald hinter ihm verschluckt wurden.
Azur hatte sich während der Flucht nicht ein einziges Mal gerührt. Da er nicht wusste, was er jetzt noch tun sollte, setzte Evan ihn sanft ab und legte sich neben ihm auf den Erdboden, um auf sein Erwachen zu warten. Er konnte sich schlecht die zusammengerollten Kommunikationsantennen ins Ohr stecken und auch keine erste Hilfe leisten. Daher wusste er auch nicht genau, ob sein Gefährte nun total gelähmt oder tot war. Alles, was er tun konnte, war warten, hoffen und Wärme produzieren.
Er versuchte zu schlafen, es gelang ihm aber nicht, und seine Geduld wurde am folgenden Morgen belohnt, als zuerst die Beine und dann die Mundwerkzeuge Azurs sich regten. Damit sein Freund nicht den großen Sprung vom Erdboden hinauf auf die Schulter tun musste, rutschte Evan so nahe wie möglich an die schlafende Silikatgestalt heran.
Die Fühler entfalteten sich und strebten seinem Kopf entgegen. Halb eingeführt, flammte plötzlich ein scharfer Schmerz auf, aber Evan biss die Zähne zusammen und hielt die Stellung. Einen Augenblick lang dauerte es noch, dann war es wieder wie vorher.
»Ich habe dich verletzt«, lauteten Azurs erste Worte seit dem vorhergehenden Abend.
»Schon gut, es ist nichts.« Evans achtete nicht auf die paar Tropfen Blut, die ihm aus dem Ohr traten.
»Was ist passiert? Als wir nicht rechtzeitig wegliefen, dachte ich schon, alles ist verloren. Das Licht eines Busck durchdringt sogar Augenlider.« Er blinzelte, um seine Aussage zu unterstreichen. »Ich hatte überhaupt nicht ernsthaft mit einem Aufwachen aus der Ohnmacht gerechnet.«
»Mich hat es nicht ganz so mitgenommen«, erklärte Evan. »Für einen Moment hatte die Bestie mich geblendet, aber es kam nicht zur Lähmung. Sie wollte sich gerade zur Mahlzeit niederlassen, als ich dich wegriss und in den Wald hineinrannte. Sehr schnell brauchte ich mich nicht zu bewegen.«
»Der Busck verlässt sich nicht auf Geschwindigkeit.«
»Sehr angenehm. Mach dir keine Sorgen! Er befindet sich weit hinter uns.«
»Ja, es ist leicht, vor dem Busck wegzulaufen. Die Gefahr liegt darin, dass er dich sieht, ehe du ihn bemerkst. Ich verdanke dir mein Leben. Ohne dich wäre ich jetzt zu Staub zermalmt.«
Azurs überschwenglicher Dank war Evan überhaupt nicht unangenehm. Er genoss solche Huldigungen gründlich, ob sie nun von Kollegen kamen oder von einer fremden Lebensform.
»Du hast schon soviel für mich getan. Ich war nur froh, dass ich mich wenigstens etwas erkenntlich zeigen konnte.«
»Von einem Busck-Blitz nicht behelligt zu werden, das ist wirklich eine schöne Gabe. Das ist wenigstens ein kleiner Ausgleich für deinen empfindlichen Körper. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss jetzt…«
»Ich weiß.« Evan lächelte. Er bereitete sich ein schnelles Frühstück, während Azur sich in die Sonne legte und sein stark geschwächtes System wieder auflud. Den Grund für die Erschöpfung seines Freundes am Abend vorher erfuhr er im Lauf des Gespräches, als Evan auf das Schlafen zu sprechen kam.
Es stellte sich heraus, dass Azur nicht im gleichen Sinne >schlief<, wie ein Mensch es zu tun pflegte. Der Zustand ähnelte eher einem Winterschlaf. Wenn der Vorrat an
Weitere Kostenlose Bücher