Privatdetektive (16 Romane in einem Band)
neuesten Klatsch über die Geschichte zu erfahren.
"So, haben Sie auch schon von der Sache gehört."
"Ja, war doch erst kürzlich."
"Also ich bin mit der Mutter von Gretus Sluiter zusammen zur Schule gegangen."
Tja, manchmal ist die Welt verdammt klein, dachte Lorant.
"Ich weiß noch, dass die Heike --- also Gretus Mutter --- so viel Kummer mit dem kleinen Gretus hatte. Irgendeine Darminfektion hat ihn als kleinen Knirps ganz dünn werden lassen. Und wenn man dagegen sieht, wie rund er zuletzt war! Aber ich habe den Verdacht, dem Gretus sein Bauch kam mehr vom Trinken."
"Jemanden, der so einen Hass auf ihn gehabt haben könnte, um ihn umzubringen, wissen Sie nicht zufällig?"
Beate Jakobs stemmte die Arme in die Hüften.
"Herr Lorant, wo denken Sie hin! So was passiert hier nich'!" Sie seufzte hörbar schüttelte dann den Kopf. "Der Gretus war immer schon ein bisschen döspaddelig. Ich hab noch kurz vor Heikes Tod, als sie schon ganz schlecht darniederlag mit ihrem Krebs, da habe ich zu ihr gesagt: Heike, watt mutt dein Junge soon großes Boot fahren? So einen Jollenkreuzer! Der ist doch viel zu groß für ihn, das kann so ein Mann, dessen beste Jahre nun inzwischen wohl auch schon vorbei sind, gar nich' bewältigen! Was glauben Sie, was für Kräfte dabei wirksam werden, wenn der Wind so richtig ins Segel haut und der Mastbaum herumschlägt?"
Der Redefluss der Wirtin wäre mit Sicherheit noch lange nicht abgeebbt, aber in diesem Augenblick rief jemand aus dem Schankraum etwas hinauf.
"Wir unterhalten uns ein andermal", sagte Beate Jakobs und rieb die Handflächen über das weiße Hauskleid aus Perlon, das schon fast museumsreif war. Ist wahrscheinlich genauso alt wie die Wasserleitung, dachte Lorant. Also dreißig Jahre. Immerhin hatte Frau Jakobs seitdem offenbar ihre Figur gehalten, denn die Knöpfe gingen gut zu, ohne dass es spannte.
Sie verließ den Raum.
"Ja, ich bin ja schon da!", rief die Wirtin die Treppe hinunter.
Lorant ließ sich in den plüschigen Sessel fallen. Die Federn waren mehr oder weniger durchgesessen. Lorant sank sehr viel tiefer ein, als er erwartet hatte.
Was jetzt?, dachte er, holte dabei das Kuvert aus der Innentasche, das ihm Bernhardine Sluiter gegeben hatte. Die Namens- und Adressenliste.
Er öffnete den Umschlag, faltete das eng von beiden Seiten beschriebene Blatt auseinander. Sehr akkurat hatte Frau Sluiter das gemacht. Sie hatte eine ziemlich kleine, sehr genaue Handschrift. Die Handschrift einer Pedantin, dachte Lorant. In Bezug auf die Liste konnte ihm diese Eigenschaft seiner Klientin nur von Nutzen sein.
Heute werde ich niemandem mehr einen Besuch abstatten!, dachte Lorant. Aber vielleicht kann ich mir ja noch den Tatort ansehen.
Und Morgen?
Seine erste Adresse war mit Sicherheit die von Kriminalhauptkommissar Meinert Steen.
Lorant hoffte, dass Steen einigermaßen kooperativ war und ihn nicht als lästige private Konkurrenz betrachtete. Revierdenken war immer etwas ziemlich Unproduktives. Aber leider musste man immer wieder damit rechnen, wenn man sich mit ungeklärten Todesfällen beschäftigte.
Lorant schloss die Augen.
Das Gesicht seiner Frau erschien vor seinem inneren Auge. Ihr Lachen. Ihr langes, dunkelblondes Haar. Die blauen Augen.
Lorant schluckte.
Deinen Mörder habe ich nicht finden können.
Leider.
Der Witwe von Gretus Sluiter sollte es besser gehen als ihm. Dafür würde er sorgen. Seine Hände krampften sich zusammen, ballten sich zu Fäusten. Er atmete regelmäßiger. Die Vergangenheit ist nicht mehr zu ändern, dachte er. Die Zeit ist eine verfluchte Einbahnstraße, und es hat keinen Sinn, da den Geisterfahrer spielen zu wollen...
Die Akkorde von BESAME MUCHO klangen aus dem Background seines Bewusstseins. Er mochte die mit einem Augenzwinkern gespielte Version, die Michel Petrocchiani auf seinen Solo-Livekonzerten gespielt hatte. Lorants Finger lösten sich aus ihrer Verkrampfung. Sie zuckten, begannen dann auf der Sessellehne herumzuticken. Ein wirksames Mittel gegen trübe Gedanken. Die Musik wurde lauter, rückte mehr in den Vordergrund. Lorant konnte sich ihrem Sog nicht entziehen. Er wollte es auch gar nicht. Denn, wenn er den Harmonien und Melodieläufen gedanklich folgte, dann war sein Kopf unfähig dazu, sich in der Vergangenheit zu verlieren. Eine wirksame Methode, um einen klaren Verstand zu bekommen, um alles los zu werden, was auf der Seele lastete und Lorant daran hinderte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Auf
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