Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Worten: An einem Freitagmorgen, bei Schneetreiben und Wind, fand auf dem Friedhof Melaten in Köln eine ganz normale Grablegung statt. Mit Kränzen aus Tannengrün und Wachsblumen, mit einem fluchenden Totengräber, mit einem Karren auf Gummirädern, auf dem der Sarg von der Kapelle zum Grab gezogen wurde, mit einem Pfarrer, der erbärmlich fror und einer Trauergemeinde, die aus der Hölle herangezogen schien.
    Vorweg ging Emil, der Fisch, und trug eine Fahne. Sie war eigens für diesen Zweck genäht worden. Ein weißes Nesselbettuch, darauf, in Rot, aus einem alten Unterrock der Gräfin ausgeschnitten, als Symbol eine Schnapsflasche. Stolz trug Emil, der Fisch, diese Fahne vor dem Sarg her. Sie flatterte im Schneewind an einer langen Latte. Die Piratenflagge der Verlorenen.
    Hinter dem Sarg ging als Vertreter fehlender Verwandter neben dem Pfarrer René, der Kavalier, korrekt in Schwarz, mit Zylinder und Schirm, ernstem Blick und würdigem Schweigen. Auf der anderen Seite des Pfarrers schritt Dr. Linden. Ihm war übel. Er wollte trinken, aber er durfte es nicht, bis Jim in die Erde gesenkt war. Wie alle hinter ihm im Trauerzug, trug er in beiden Rocktaschen Flaschen, sie beulten die Anzüge aus, es gluckerte bei jedem Schritt, leise, geheimnisvoll, lockend … gluck … gluck … gluck … als wenn ein Zwerglein trinkt … aber es war unmöglich, jetzt zuzugreifen und die Flasche an den Mund zu reißen.
    Das Grab. Rechts und links die gefrorene Erde, ein Hügelchen Sand mit einem Schippchen, ein paar Bretterbohlen am Rand, der Totengräber (städtischer Angestellter unterer Gehaltsgruppe, obwohl er ein wichtiger Mann im städtischen Betrieb ist und sogar Minister begraben kann. Wer kann das schon?), ein paar Neugierige, die es bei jeder Beerdigung gibt (das Versenken eines Sarges muß für manche lustvoll sein wie ein Catcherkampf), merkwürdigerweise drei uniformierte Polizisten, was Renés Falte über der Nasenwurzel vertiefte, und schließlich drei Herren unter zwei Regenschirmen, von denen zwei Lodenmäntel und einer einen Ledermantel trugen. Der dümmste Deutsche weiß sofort, daß dies Kriminalbeamte waren.
    Der Pfarrer sprach schnell, denn er fror. Er schilderte Jim, das Kamel, als einen Menschen, der besonders Gottes Gnaden bedürfe. Dann segnete er den Sarg, die Umstehenden, sprach ein Gebet, schaufelte dreimal Sand auf den Sargdeckel und entfernte sich, weil sich der Schnee in seinem steifen Kragen sammelte.
    Anders war René, der Kavalier. Er sprach vom guten Kameraden, von gemeinsamen Jahren, von der Philosophie der Freien, von der Konsequenz, mit der Flasche am Mund zu sterben. Jutta, die Gräfin, schluchzte laut wie eine legale Witwe. Dr. Linden stützte sie, als sie ihre drei Schippchen Sand auf den Sarg warf und Jim Lebewohl sagte.
    Was dann geschah, machte die Zuschauenden sprachlos. Die torkelnden Unterweltsgestalten formierten sich, schwankten um das offene Grab, umringten es, griffen in die Tasche und zogen mit einem Ruck ihre Flaschen hervor. Als durchzuckte sie ein lautloses Kommando, jenes ›Hoch legt an – Feuer!‹ des Ehrensaluts, fuhren die Flaschen an die Münder, die Lippen schlossen sich um die Hälse. Emil, der Fisch, mit zuckendem Adamsapfel, senkte die Fahne über dem Grab (er durfte erst hinterher trinken, Fahnenträger sein, heißt Ehrendienst verrichten!), und dann tranken sie, schmatzend, mit selig verdrehten Augen, ein unwirkliches, makabres, bis auf die Knochen gehendes letztes Trompetensignal, lautlos bis auf das Schlucken von zweiundvierzig Gurgeln und Schmatzen von vierundachtzig Lippen. Auch René, der Kavalier, und Dr. Linden standen am Grab und tranken aus der Flasche. Zwischen sich hatten sie die Gräfin genommen, die mit beiden Händen ihre Wermutflasche hochhielt wie eine überschwere Fanfare.
    »Schluß jetzt!« sagte außerhalb des saufenden Trauerringes Kriminalkommissar Dr. Bergebrecht vom Sittendezernat zu seinen Begleitern. »Stehen die Wagen bereit?«
    »Jawohl. An Tor fünf, Herr Kommissar.«
    »Dann los. Nicht lange fackeln. Alle mitnehmen! So schön vollzählig bekommen wir die nie wieder zusammen!«
    Das Begräbnis von Jim, dem Kamel, endete mit einer Freifahrt in der ›Grünen Minna‹ zum Polizeipräsidium.
    Dr. Linden wurde sofort abgesondert. In einem Nebenzimmer saß Brigitte Linden und sprang auf, als ihr Mann durch die Tür torkelte. Sie war vor zwei Stunden aus Essen gekommen, nachdem die Polizei erfahren hatte, wie das Begräbnis stattfinden

Weitere Kostenlose Bücher