Privatklinik
sollte. »Wenn wir eine Chance haben, Ihren Mann zu finden, dann hierbei!« hatte Dr. Bergebrecht telefoniert. Und Brigitte war sofort nach Köln gefahren.
»Konrad …«, sagte sie leise, als er sie erkannte und einen Schritt zurückwich. »Bitte, sag nicht … Ich zwinge dich nicht … Du mußt wissen, was du tust. Aber wenn du mitkommen willst … draußen steht unser Wagen. Wir können fahren …«
Dr. Konrad Linden lehnte sich gegen die Wand. Sein Anzug war vom Schnee durchnäßt, die Haare hingen wirr um seine Stirn. Der Alkohol in seinem Hirn zauberte Kreise und sphärisches Rauschen. Er sah Brigitte auf einer Wolke schweben, wie ein Engel, federleicht. Wie das nur kann, dachte er. Welch eine Übung gehört dazu, so zu schweben. Überwindung der Schwerkraft – Brigitte ist ein Genie!
»Sollen wir fahren, Konrad?« fragte Brigitte wieder.
Er nickte und stieß sich von der Wand ab.
»Ja. Fahren … laß uns nach Hause …« Er stolperte, hielt sich an Brigitte fest und legte das Gesicht auf ihre Schulter. »Nach Hause …«, stammelte er mit schwerer Zunge. »In ein Bett! In ein weiches Bett! Ich friere … o Gott, ich friere ja so … Sieh mal, wie ich friere …« Er zitterte und klapperte mit den Zähnen.
Ganz langsam, Schritt für Schritt, führte Brigitte Linden ihren Mann aus dem Haus zum Auto.
Im Nebenzimmer verhandelte René, der Kavalier, mit Kommissar Dr. Bergebrecht.
»Ich hätte Ihnen mehr Pietät vor einem Begräbnis zugetraut!« sagte er. »Es ist schrecklich, wie schnell die Sitten heute verfallen.«
11
An einem dieser Wintertage geschah ein Unglück.
Beim Überschreiten einer Straße blieb der Pfarrer Hans Merckel plötzlich stehen, sah mit leeren Augen um sich und brach zu sammen. Ein Wagen konnte noch ausweichen, die anderen bremsten kreischend. Da Pfarrer Merckel im Ornat war – er kam gerade von einem Gang der Letzten Ölung –, erzeugte dieser Zusammen bruch einen besonderen großen Auflauf. Die beiden Meßdiener, die ihn begleiteten, Jungen von etwa vierzehn Jahren, standen in ihren Spitzengewändern entsetzt und wie gelähmt neben dem liegenden Bären und trotteten hinterdrein, als ein paar kräftige Männer die schwere Gestalt Merckels aufhoben und im ersten Geschäft, das sie erreichten, auf die Theke legten. Es war ein Korsettgeschäft, und so lag der wuchtige Körper des Pfarrers von St. Christophorus ne ben den großen Fotos Büstenhalter anpreisender Damen, als der Krankenwagen mit Sirene und Blaulicht eintraf.
Erst im Krankenhaus, auf dem Untersuchungstisch, erwachte Hans Merckel aus seiner Ohnmacht. Er blinzelte in den Scheinwerfer, der über ihm von der Decke hing, schloß schnell wieder die Augen und schob eine Hand weg, die über seinen Leib tastete.
»Ich sage Ihnen, was ich habe, Doktor!« sagte er mit klarer Stimme. Ich bin umgefallen wie ein Baum, dachte er dabei. Nun ist es soweit. Gott, wie wenig Zeit hast du mir gelassen?
»Ich habe eine Leberzirrhose, meine Herren«, sagte er mit seiner schönen, dunklen Stimme. »Machen Sie mir keine Hoffnungen … ich bin ein Trinker!«
Er hob den Kopf, und die tastende Hand an seinem Unterbauch, über Leber, Galle, Milz und Magen, zog sich zurück. Aus dem Lichtschimmer des in vielfachen Facetten geschliffenen Scheinwerfers – so erschien es ihm – schälte sich ein Gesicht, ein junger Männerkopf, der in einem weißen Kragen stak. Pfarrer Merckel lächelte schwach und sank nach der Kraftanstrengung, sich aufzusetzen, wieder zurück.
Ich liege in einem Untersuchungssaal, dachte er. In einem Krankenhaus. Über mir die Sonne der OP-Scheinwerfer. Und den jungen Mann kenne ich. Wie heißt er doch noch? Ach ja. Dr. Franz Büdrich. Jung verheiratet. Seit vier Monaten. Habe ihn selbst getraut. ›So nimm denn meine Hände und führe mich …‹ hat die Orgel gespielt. Die Braut wollte es so. Und ich habe von der Liebe gepredigt, dem schönsten Geschenk Gottes an die menschliche Seele. Nun liege ich vor diesem Dr. Franz Büdrich, er hat den Leib seines Pfarrherrn abgetastet und weiß, daß ich ein Trinker bin, ein Verlorener, ein Unheilbarer, ein Gezeichneter vom Alkohol, ein Versteckspieler, ein Komödiant der Kanzel.
»Bleiben Sie ganz ruhig liegen, Herr Pfarrer«, sagte eine weit entfernte Stimme. Warum geht er so weit weg, dachte Merckel? Warum ruft er es durch den ganzen Raum? »Sie brauchen zunächst völlige Ruhe …«
Die Stimme kam näher, ganz nahe, an sein Ohr, explodierte fast. Er schrak zusammen, als blase
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