Privatklinik
begrüßt hatte. »Es geht ihm gut. Besser, als ich gedacht hätte. Er hat sich in der kurzen Zeit wirklich gefangen und findet zu seinem Ehrgeiz zurück. Das ist der entscheidende Moment im Heilungsvorgang: die Entdeckung des Selbstvertrauens. Nachdem er ›Oberon‹ besiegt hat – und es war ein harter Sieg! –, hat er von allen Insassen die beste Chance, bald entlassen zu werden.«
»Sie wissen gar nicht, wie froh mich das macht«, sagte Brigitte Linden. Sie hatte in diesen Wochen ein strenges Gesicht bekommen. Zwei Falten zogen sich von der Nasenwurzel bis zu den Lippen. Was für Dr. Linden nur der Endpunkt einer langen Entwicklung gewesen war, hatte sie als eine plötzliche Explosion überrascht. Sie hatte in der Blindheit der Liebenden gelebt. Nun sah sie die Wahrheit, und ihr ganzes Leben an der Seite Lindens erwies sich als eine Illusion. Was nutzte da alle Tapferkeit? Sie war nur ein Schild gegenüber den anderen Menschen. Die Nächte gehörten ihr, und in ihnen zerstörte sie mit Grübeln und Selbstvorwürfen ihre Nerven. Warum hatte sie nie etwas bemerkt? Hatte sie auch Schuld an dieser Entwicklung? War ihr das sorglose Leben zu selbstverständlich erschienen?
Diakon Weigel legte die Hände nebeneinander auf den Tisch. Seit einigen Tagen zitterten sie etwas. »Ihr Gatte wird geheilt werden, das ist sicher. Nur darf er in den nächsten Monaten keinen Tropfen Alkohol trinken! Nicht ein Glas! Nicht einen kleinen Schluck. Der Körper, die Nerven liegen – sagen wir es mit der militärisch-plastischen Sprache – in Bereitschaft. Ein Schluck wäre wie ein Trompetensignal. Auf, auf, es geht wieder los! Und nichts ist schlimmer als Rückfälle.«
Brigitte Linden nickte. »Ich werde mich nie von seiner Seite entfernen, wenn er wieder zu Hause ist. Ich werde aufpassen wie ein Blindenhund.« Sie sah auf ihre kleine goldene Armbanduhr. Auch sie war ein Geschenk, eine Erinnerung. Mitgebracht von einem Kongreß in Genf. Damals ahnte niemand, daß der Chirurg Linden seine Operationsdemonstrationen vor den Fernsehkameras in einem unsichtbaren Stadium der Trunkenheit ausführte. Man feierte und beneidete ihn, wie immer, wo er auftrat. »Wann kommt er zurück?«
»Meistens gegen vier Uhr. Wir haben also noch eine halbe Stunde Zeit. Gehen wir im Park spazieren?«
»Aber gern, Herr Weigel.«
Während die anderen Gäste von Schloß Bornfeld ihren Mittagsschlaf hielten und Diakon Weigel mit Brigitte Linden durch den Park wanderte, ritt Dr. Linden auf seinem ›Oberon‹ zu einem einsamen Bauernhof, einem Heidehof, dessen Haupterwerb die Schafzucht war. Es waren arme Bauern, deren Vorfahren bereits seit dem 16. Jahrhundert in dieser Einsamkeit ansässig waren. Auch die kommende Generation wollte dem Zug in die Stadt nicht nachgeben und deshalb den Einödhof weiter verwalten.
Dreimal hatte Linden diese strohgedeckte Kate besucht und sich mit dem Bauern und der Bäuerin unterhalten. Standhaft hatte er einen Kornschnaps abgelehnt und eine Tasse Tee getrunken, hatte sich am Kachelofen aufgewärmt und war dann zurückgeritten zum Schloß. Auch heute ritt er wieder bis vor die Tür, ließ ›Oberon‹ laut schnaufen und rief: »Hallo! Setzt das Wasser aufs Feuer!« Und da niemand an der Tür oder am Fenster erschien, wie es sonst üblich war, blieb Dr. Linden im Sattel und klopfte mit der Reitgerte gegen eines der niedrigen Fenster. »Hallo! Ist niemand da?«
»Herr Doktor! Herr Doktor!« Die Stimme der Bäuerin im Inneren kam näher. »Herr Doktor, helfen Sie mir …«
Dr. Linden sprang vom Pferd. Gleichzeitig wurde von innen die Tür aufgerissen. Die Bäuerin stürzte heraus, mit aufgelösten, wehenden grauen Haaren, das runzlige Gesicht verzerrt wie auf der Folter. Sie umklammerte Dr. Linden und riß in wilder Verzweiflung an seiner gefütterten Reitjacke.
»Helfen Sie mir! Bitte, bitte. Er stirbt … er stirbt mir einfach weg …«
»Wer stirbt?« fragte Dr. Linden betroffen.
»Mein Mann. Der Bauer. Im Zimmer liegt er. Er schreit vor Schmerzen. Mein Bauch, schreit er. Mein Bauch.«
Dr. Linden schob die heulende Bäuerin zur Seite und rannte ins Haus. Er brauchte das Schlafzimmer nicht zu suchen, schon in der Diele hörte er das Stöhnen und dazwischen ein gotterbärmliches Fluchen.
Der Bauer lag mit entblößtem Bauch auf dem hohen, breiten Bett, hatte die Hände auf die Bauchdecke gedrückt, stierte an die Decke und brüllte abwechselnd: »Oh! Ich verbrenne! Der Teufel soll mich holen! Mein Bauch! Und kein Aas
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