Privatklinik
Fritz. Wer mich gut kennt, nennt mich ›Judo-Fritze‹. Merkst du was? Wer hier die Schnauze aufreißt oder aufsässig wird, segelt durch die Lüfte!«
»Es muß trotzdem ein Irrtum sein!« Peter Kauls Herz begann wild zu schlagen. »Gestern –«
»Was ist mit gestern? Da haste als nackter Mann 'ne Bachnymphe spielen wollen, und weil das etwas plemplem ist, biste hier!«
»Ich wollte mir das Leben nehmen!« schrie Peter Kaul. »Ich wollte nicht mehr! Ich hatte es satt auf dieser Welt!«
Judo-Fritze nickte weise. »Dann singe Gott ein Loblied, daß du bei mir bist. Hier wirste schon lernen, das Leben zu lieben. Name?«
»Peter Kaul.«
»Also Peter … Kopf hoch!« Judo-Fritze winkte. »Mitkommen! Ich gebe dir ein paar Anstaltsklamotten. Deine Kleider hat die Polizei beschlagnahmt. Und nackt rumlaufen, nee, das geht nicht. Wir haben auch Schwestern hier, mein Junge, und 'nen Stall voll Warmer. Los, glotz nicht! Mitkommen!«
Peter Kaul schwieg. Es wird sich alles aufklären, dachte er. Ein Arzt wird mich untersuchen, Susanne wird sich um mich kümmern, vielleicht auch der Pfarrer. Das ist bestimmt ein Irrtum. Sie haben mich aus dem Wasser gezogen, das stimmt. Und sie haben mich zusammengeschlagen. Aber gestern war die Welt ein faules Ei, das man wegwirft. Heute ist alles ganz anders. Und Durst habe ich. Durst …
Er ging dem Pfleger nach in das Kleidermagazin, bekam ein Unterhemd, eine gestopfte Unterhose, einen gestreiften bläulichen Pyjama mit einem Monogramm. LHA. Landesheilanstalt.
»Siehst aus wie'n Graf!« sagte Judo-Fritze, als Peter Kaul widerwillig die Sachen übergestreift hatte. »Und nun sag dem guten Onkel mal, warum du ins Wasser wolltest.«
»Ich möchte einen Arzt sprechen.«
»Sofort. Der Herr Professor kommt geflogen. Husch, husch!« Judo-Fritze faßte Kaul am oberen Knopf des Pyjamas. »Nun hör mal zu, mein nackter Knabe: Der wichtigste Mann hier bin ich. Der Professor sieht euch wöchentlich nur einmal, der Oberarzt zweimal, der Stationsarzt täglich eine Minute. Aber ich bin immer hier! Frech sein lohnt sich also nicht.«
»Ich bin nicht krank«, stotterte Peter Kaul. Plötzlich begriff er, wo er war. Die ganze Grausamkeit seines Schicksals fiel über ihn her und zwickte ihn wie mit tausend glühenden Zangen. Eine wahnsinnige Angst kroch in ihm hoch. Er erinnerte sich an Berichte in den Zeitungen: Zehn Jahre als Gesunder unter Irren. Ein Mensch wurde lebendig begraben. Die Schlangengrube … »Bitte benachrichtigen Sie meine Frau. Susanne Kaul, Essen –«
»Deine Frau weiß Bescheid.«
Es war ein fürchterlicher Schlag. Peter Kaul taumelte gegen die Wand. »Sie weiß … weiß … daß ich hier bin?« Er hatte weite Augen. Unmöglich, dachte er. Susanne weiß es nicht. Glaub es nicht, was er sagt. Das gibt es einfach nicht, daß Susanne so etwas duldet.
»Natürlich.« Judo-Fritze setzte seine Unterschrift unter das Ausgabebuch der Kleiderkammer. »Aber nimm's nicht zu tragisch. Was sollte sie denn anders tun? Hier werden wir jetzt einen Menschen aus dir machen, und wenn alles gutgeht, biste in einem halben Jahr wieder bei Muttern im Bett.«
»Ein halbes Jahr«, sagte Peter Kaul leise.
»Als Säugling haste neun Monate gebraucht. Bei uns geht das kürzer!«
»Aber warum denn? Warum?« brüllte Kaul auf.
Judo-Fritze betrachtete ihn kritisch. Dann hob er seine große, tellergroße Hand und legte sie Kaul auf den Kopf. Es war, als drücke eine Presse ihm den Schädel mitsamt dem Hals in die Schultern.
»Sei still, kleiner Nackedei!« Der Pfleger grinste breit. »Komm mit und benimm dich.«
Während des Frühstücks, es gab Malzkaffee, zwei Marmeladenbrote (Erdbeermarmelade, die etwas muffig schmeckte) und für jeden zwei Pillen mit einem grünlichen Zuckerüberzug (»Ich wette, da ist Soda drin, damit wir nicht die Matratzen aufschlitzen«, sagte Kauls Nachbar und strich sich über den Hosenschlitz), während in Stube siebzig die elf Deliriumkranken schmatzten und ungeniert ihre Morgenwinde streichen ließen, saß Peter Kaul am Fenster und sah durch die Gitter hinaus auf einen gepflegten Garten. Er konnte nichts essen. Das Marmeladebrot klebte ihm am Gaumen fest, der Kaffee hatte in seiner Nase den Geruch von Jauche. Er verteilte seine Ration an seine beiden Nachbarn, die über sie herfielen wie Wölfe über blutiges Fleisch.
»Ich bin Jule«, sagte der Berliner. »Mein Oller war'n Zuhälter, meine Mutter 'ne Strichmieze. Mit vierzehn hatte ich schon 'n Verhältnis mit 'ner
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