Privatklinik
Schneiderin. Die war fünfzig! Von der hab' ick det Saufen jelernt. Und dann ging's rund. Wanderschaft, dreiundzwanzigmal Knast, det is'n Rekord! Und imma wegen derselben Sache. Unzucht nennen die Fatzken am Jericht so wat! Ick nenn' det Lebenslust. Und nu bin ick hier. Aba nur bis zum Frühjahr! Die sind ja alle doof hier. Die jloben, ick sehe wirklich Kleopatra mit'n Cäsar im Bett. Halluzinationen nennen die det! Kinder, sind die doof!«
Er lachte, rieb sich wieder an der Hose, aß Kauls Erdbeermarmeladenbrot und trank seinen Malzkaffee. Dann rülpste er, legte sich aufs Bett und starrte mit einem ausdruckslosen Gesicht an die Decke.
Um elf Uhr holte Judo-Fritze unverhofft Peter Kaul ab.
»Zum Professor! Sag mal, wer bist du?«
»Peter Kaul, Elektriker.« Kauls Herz begann wieder wild zu klopfen. Nun wird sich alles aufklären lassen, war seine Meinung. Nun würde sich zeigen, daß ein plötzlicher Kurzschluß kein Anlaß ist, einen gesunden Menschen in eine Irrenanstalt zu sperren. Protestieren würde er. Jawohl, protestieren. Und einen Anwalt verlangen! Und Susanne! Und den Pfarrer Merckel! Man ist doch nicht verrückt, wenn man sich das Leben nehmen will! Es ist doch die natürlichste Sache, etwas wegzugeben, was man nicht mehr will …
Judo-Fritze knöpfte Kaul den oberen Knopf des Pyjamas zu und strich ihm die Haare aus der Stirn wie einem erhitzten Jungen, der einem plötzlichen Besuch vorgestellt werden soll.
»Benimm dich anständig, Peter«, sagte er milde. »Wenn du schön ja und nein sagst auf alle Fragen, ist der Professor auch lieb zu dir. Und nun komm!«
Prof. Brosius entstammte einem alten ostpreußischen Geschlecht und hatte eigentlich Offizier der Ulanen werden wollen. Aber das gelang ihm nicht. Erstens war er in jugendlichen Jahren zu zart dazu, und zweitens fehlte seinem Namen ein ›von‹. Daß die Brosius' Millionäre waren und ein Onkel Kommerzienrat, gab nicht den Ausschlag. Da er nicht zu den feudalen Ulanen konnte und zu der popeligen Infanterie nicht wollte, wurde er Mediziner und Psychiater und hatte später die Genugtuung, einige der ›von‹-Offiziere seines Ulanenregiments zu behandeln, meistens mit psychischen Schäden infolge einer verschleppten Gonorrhöe. Was er nicht abgelegt hatte, waren der Stolz und der Ton des preußischen Offiziers. »Ein Irrenhaus ist wie eine Kaserne!« war ein beliebter giftiger Kommentar Prof. Brosius'. »Hier kommt es auf die Menschenführung an!«
An diesem Morgen hatte er Sodbrennen von einem Sektabend bei dem Fabrikanten Knollang. Der älteste Sohn des Fabrikanten befand sich seit zwei Monaten in der Anstalt, Privatstation natürlich, und wurde beobachtet. Er hatte in des Vaters Schokoladenfabrik eine Minderjährige verführt und sollte nun bescheinigt bekommen, daß er infolge alkoholischer Exzesse an einer Minderung seines Gehirnzentrums litt, was ihm die Urteilsfähigkeit über gewisse Handlungen unmöglich machte. Ein schwieriger Fall.
In Fachkreisen galt Prof. Brosius als Kapazität auf dem Gebiet der Alkoholentwöhnung und Behandlung des Delirium tremens. Das mochte daher kommen, daß er selbst gern einen trank. »Alkohol in Maßen ist Medizin!« sagte er immer. »Alkohol regt an, gibt geistigen Elan, seelische Freude. Ein Glas Sekt, ein paar Whisky, ein guter temperierter Cognac, ein eiskalter Wodka, eine Flasche edlen Wein … es sind Gottesgeschenke. Nur das Zuviel ist gefährlich! Es ist wie mit der Liebe, meine Herren – der anderen Gottesgabe. Auch hier kann man auf den Hund kommen und mit weichem Rückenmark herumschwanken! Auf die Dosierung kommt es an!«
Nach solchen Vorträgen war ihm kräftiger Applaus sicher, man trampelte, ließ die Pultdeckel klappern und nannte ihn einen Pfundsburschen! Im Privatleben war Prof. Brosius ein liebevoller Gatte, ein strenger, aber herzensguter Vater und ein gefürchteter Schwiegervater. Seine beiden Schwiegersöhne, der eine Mediziner, aber Gynäkologe, der andere Architekt, wälzten sich noch jetzt, nach über zehnjähriger Ehe, mit dem Alptraum im Bett, noch einmal den Test durchzustehen, den sie damals mit dem Mut eines Gladiators durchgestanden hatten.
Nachdem Prof. Brosius zwei Tabletten Magnesium gegen das Sodbrennen genommen und hinter der vorgehaltenen Hand ein paarmal kräftig aufgestoßen hatte, ließ er Peter Kaul eintreten. Interessiert musterte er den neuen Patienten und dachte daran, was ihm vor zehn Minuten noch Pfarrer Merckel gesagt hatte. Das war auch der Anlaß, daß
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