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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Heinz erhielt die ersten langen Hosen seines Lebens. Er war ein großer Junge, größer als andere Jungen im Alter von zehn Jahren. Es war ein dunkelblauer Anzug, die Jacke (Schnittmodell ›Für die sparsame Hausfrau‹, Beilage der Wochenzeitung ›Beim Kaufmann‹, Kundenschrift des Einzelhandels, wurde beim Lebensmittelhändler an der Ecke jeden Monat umsonst verteilt, mit einer Beilage ›Tip des Monats: Ananas 1/1 Dose nur 1,48‹) war eine stilisierte Matrosenjoppe und ein Zwischending zwischen Dinnerjackett und Barmixerfrack, sie machte eine gute Figur und hatte die ungeahnte Eigenschaft, Heinz trotz der langen Hosen kindlich aussehen zu lassen.
    Selbst Gundula bekam ein neues Kleid. Ein rosa Fähnchen mit einer gestickten Blumenborte. Gundula schien die Blumen zu erkennen, sie zerrte an dem Kragen, sah auf die bunten Bildchen und versuchte, sie in den Mund zu stecken.
    Sich selbst vergaß Susanne auch nicht. Aber sie änderte nur ein Kleid um, in Ermangelung weiteren Geldes für einen neuen Stoff. Sie zertrennte ihr geblümtes Sonntagskleid und machte daraus ein enges Futteralkleid, so eng, daß sie, als sie vor dem Spiegel im Schlafzimmer stand und sich drehte, Angst bekam, es könne unanständig wirken, denn die Brüste drückten sich durch den Stoff, der Schwung der Hüften und ihr Übergang zu den Oberschenkeln demonstrierten die Unverbrauchtheit ihres Körpers, und die Wölbungen der beiden Gesäßbacken bildeten eine Fortsetzung des langen geraden Rückens und eine Drehscheibe zu den schlanken Beinen, wie sie erfreulicher nicht mehr zu betrachten waren.
    Was wird er sagen, dachte sie, als sie sich entschloß, daß Kleid so eng zu lassen. Er wird sich freuen, daß ich die Tage der Verzweiflung überwunden habe. Ja, das soll er, sich freuen. Es ist nichts Unanständiges dabei, wenn ich ihm zeige, wie schön ich bin. Wir haben drei Kinder miteinander gehabt, wir kennen unsere Körper. Aber für ihn werde ich jetzt neu sein, ein erreichbares Ziel, wenn er sich ändert. Das wird seine Heilung beschleunigen. Ich kenne ihn ja … ohne Liebe ist er ein Verdurstender.
    Um drei Uhr nachmittags stand sie in der Halle der Landesheilanstalt und wurde von dem Pförtner telefonisch gemeldet. Wenig später erschien Judo-Fritze. Auf der Treppe pfiff er leise durch die Zähne, als er Susanne in ihrem engen Kleid sah, und nahm sich Zeit, sie vom oberen Treppenabsatz aus genau zu betrachten. Es ist zum Kotzen, dachte er. Die größten Ganoven haben die schicksten Weiber! Es ist, als ob die Kerle einen Wildgeruch haben, der die Frauen verrückt macht. Immer wieder kann man das sehen, wenn die Saufbrüder eingeliefert werden. Dann stehen unten in der Halle die Miezen herum, Dinger, mein Junge, daß es einem heiß unter der Hirnschale wird.
    »Frau Kaul?« fragte Judo-Fritze unnötig.
    Susanne drehte sich herum. »Ja.« Sie legte die Arme um Heinz und Petra, die in ihren neuen Kleidern strammstanden wie bemalte Zinnsoldaten. Gundula lag im Kinderwagen und knabberte an ihren geliebten bunten Klötzchen.
    »Ihr Mann erwartet Sie schon!« sagte Judo-Fritze mit der Höflichkeit, die einer schönen Frau zusteht. Er packte mit seinen mächtigen Pranken den Kinderwagen, drückte ihn an seine Gorillabrust und trug ihn die Treppe hinauf. »Bitte, folgen Sie mir. Erste Etage. Immer nur mir nach …« Gundula krähte fröhlich, und Heinz zog am Ärmel Susannes und flüsterte: »Du, Mama, das ist doch der Mann, der damals Papi weggeschleppt hat …«
    »Sei still!« Susanne schüttelte den Kopf. Sie kamen in einen weißen Gang, den eine Glastür vom Treppenhaus trennte. In das Glas war eingeätzt, vornehm stumpf: Privatstation. Betreten verboten! Hinter der Glastür befand sich ein Scherengitter. Es konnte in eine Zwischendecke aufgerollt werden und wurde elektrisch durch einen Knopfdruck von der Wachstation aus betätigt, wenn einem Tobenden der Ausbruch aus seinem Zimmer gelang. Dann klirrte das Gitter aus der Decke, knallte auf den gebohnerten Linoleumboden, und die feudale Privatstation sah nicht anders aus als die Station I – III im oberen Stockwerk. Ein Käfig, in dem das Tier Mensch sich gegen die Gitter warf.
    Peter Kaul stand am Fenster, als Susanne ins Zimmer kam. Zuerst, nachdem sich die Tür geöffnet hatte, kam Heinz herein. Er blieb stehen und sah seinen Vater mit großen Augen an.
    »Guten Tag, Papi!« sagte er dann leise.
    »Mein … mein großer Junge …«, stammelte Peter Kaul. Seine Kehle war trocken. Ich habe

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