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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schmale, bleiche Gesicht der Toten, bekreuzigte sich und stieg hinunter in die Jagdhalle. Baron von Putthausen saß inmitten seiner Trophäen, zwischen Eberköpfen und Kronenhirschen, starrte ins Leere und wartete. Er trug einen dunklen Anzug, der einzige Ausdruck von Verbundenheit mit dem Mädchen, das unter dem Dach allein und doch glücklich gestorben war. Die alte Martha machte vor ihm einen Knicks und blieb dann mit gesenktem Kopf stehen.
    »Es ist vorbei?« fragte von Putthausen mit gefaßter Stimme.
    »Ja, Herr Baron. Soeben …«
    »Hat sie noch etwas gesagt?«
    »Nichts, Herr Baron.«
    »Sie ist nicht nüchtern geworden?«
    »Nein.«
    Von Putthausen erhob sich und trat an das Fenster. Er blickte hinüber zu den Parkbäumen und dem Bach, der den Garten durchzog. Einige Minuten war es still in dem großen Jagdzimmer, die alte Martha stand noch immer mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf vor dem verlassenen Sessel. Eiche, reich geschnitzt, bezogen mit einem Gobelin. Heimkehr von der Jagd. Flandrische Arbeit. 18. Jahrhundert. Es schien sich seit dieser Zeit kaum etwas geändert zu haben … vielleicht der Schnitt der Kleidung und die Getränke in dem altdeutschen Getränkeschrank … auf keinen Fall aber der Geist. Baron von Putthausen räusperte sich.
    »Wann kommt der Pfarrer?«
    »In einer halben Stunde.«
    »Karin wird in der Familiengruft begraben. Aber ohne Beteiligung der Öffentlichkeit. Der Pfarrer soll sich einfallen lassen, wann es am besten ist … sechs Uhr morgens oder elf Uhr nachts …«
    »Und der Herr Baron?«
    »Ich habe eine Jagd in den Karpaten. Ich fahre in zwei Stunden.« Von Putthausen drehte sich um. Er sah in die stumm rebellierenden Augen der alten Martha. Er verstand diesen Blick, aber es war ihm nicht gegeben, eigene Schatten zu überspringen. »Kaufen Sie Rosen …«, sagte er langsam und bemühte sich um ein steinernes Gesicht. »Gelbe Rosen. Karin liebte sie besonders.«
    Irgendwo, in der Ferne des weiten Hauses, schlug eine Klingel an. Wenig später trat der Butler ein, fast siebzig, mit weißen Haarkoteletten. Ein Auftritt wie in einem Dickens-Film.
    »Der Arzt, Herr Baron …«
    Von Putthausen nickte. »Martha wird ihn hinführen.«
    »Der Herr Doktor möchte den Herrn Baron gern sprechen.«
    »Wozu? Ich weiß, daß meine Tochter an Delirium tremens gestorben ist! Ich brauche keine ärztlichen Kondolationen!«
    »Der Herr Doktor meint, es sei da noch etwas gewesen …«
    »Kein Interesse!« Von Putthausen winkte energisch ab. »Sie ist eingeschlafen! Damit erlischt alle Schuld, und etwaige Geheimnisse sind mitgestorben. Ich möchte nichts mehr hören.«
    Der Butler entfernte sich wieder lautlos. Martha folgte ihm. Ihre langen Röcke wehten raschelnd über die Fliesen der Jagdhalle. Von Putthausen sah ihr nach, bis die schwere geschnitzte Tür hinter ihr ins Schloß fiel. Erst da verzog sich sein Gesicht wie in einem inneren Schmerz. Er legte die flache Hand über die Augen und stand so eine Minute lang, als blende ihn das trübe Licht des Tages.
    Der älteste Sohn 1945 an der Oder gefallen … der zweite Sohn mit dem Wagen verunglückt … die Frau gestorben an einem Magenkarzinom … die jüngste Tochter, das letzte Kind, eingegangen durch den Trunk, ein Opfer des Rausches …
    Was war von der Welt derer von Putthausen geblieben? Ein Landgut, eine Exportfirma in Hamburg, ein Bankkonto mit einigen Millionen, Aktienpaketen und Beteiligungen, zwei Jagden mit kleinen Jagdschlössern, zwei Hände voll Dienerschaft, ein kleines Gestüt. Eine runde, volle Welt … doch wofür?
    Von Putthausen sah auf die große altenglische Standuhr neben dem offenen Kamin. Es wurde Zeit. In einer Stunde traf der Wagen ein, der ihn zum Flughafen brachte. Hirsche in den Karpaten. Vielleicht auch einen Bären, wenn man Glück hatte. Die einzige Abwechslung in dem Lebensgrau eines Satten.
    Als von Putthausen zwei Stunden später die Ulmenallee hinunterfuhr, begegnete ihm ein anderer, schwarzer Wagen.
    Der Sarg. Einen Moment sah er den gewölbten Holzdeckel mit dem bronzenen Kruzifix darauf. Ein teurer Sarg. Der beste, den man auf Lager hatte. Zehn Jahre hält er garantiert, bis er einbricht …
    Von Putthausen wandte den Kopf geradeaus.
    Mit mir geht eine Dynastie zugrunde, dachte er. Aber es gibt Eichen, die viermal der Blitz traf, und sie stehen noch immer! Auch ich stehe noch! Und ich werde stehen! Wir sterben aufrecht wie die Elefanten …
    Man mag den Kopf schütteln … aber auch das gab es

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