Privatklinik
war bereit, noch ein Schüppchen draufzulegen und zu erzählen, daß der begabte älteste Sohn Hilfsarbeiter werden müsse, weil kein Geld für die Ausbildung da sei …
In diesem Augenblick sprang Kaul auf. Er schnellte vor, als habe sein Stuhlsitz eine Katapultvorrichtung. Ehe Hubert Bollanz ausweichen oder auch nur die Arme zur Abwehr heben konnte, war Kaul bei ihm, hieb die Finger um seinen Hals und drückte Bollanz gegen die Wand.
»Du Schwein!« sagte er ganz ruhig. Obwohl seine Augen wie im Fieber glühten, war seine Stimme von einer merkwürdigen Gleichgültigkeit. »Sie war hier, die Frida Milbach, mit allen Kindern. Ich weiß die Wahrheit, du Lump. Ich weiß alles! Du hast mich zwei Jahre lang ausgesaugt, du hast Susanne unglücklich gemacht, meinen Heinz, meine Petra, und auch an der Blödheit Gundulas bist du schuld! Nun ist es vorbei … nun zahlst du zurück …«
Er preßte die Finger gegen den Adamsapfel Bollanz'. Dieser schlug um sich, trat Kaul in den Leib. Kaul krümmte sich vor Schmerzen, aber er ließ den Hals nicht los, er grub die Fingernägel in das Fleisch und schüttelte Huberts Körper. Zufrieden sah er, wie der Kopf bläulich wurde, wie die Augen hervorquollen. »Du Aas!« sagte er da, »du gottverdammtes Aas!« und drückte weiter zu.
Es gelang Bollanz mit einem wilden, verzweifelten Ruck, sich dem Griff zu entziehen. Taumelnd rannte er zur Tür und riß sie auf. »Hilfe!« schrie er in den Gang. »Hilfe!« Dann sank er in die Knie und fiel nach vorn aufs Gesicht in den Flur. Ein Kranker, der neugierig aus dem Nebenzimmer sah, stieß einen schrillen Schrei aus und verschwand. Dafür rasselte die Alarmglocke.
Peter Kaul stand neben dem ohnmächtigen Bollanz, als Judo-Fritze von Station III herbeistürzte. Ihm folgte ein junger Volontärarzt, der beim Anblick des langgestreckten Körpers bleich wurde.
»Er hat einen umgebracht!« stammelte er.
»Blödsinn! Der Kaul nicht!« Judo-Fritze nahm Kaul mit einem Griff vorn an der Jacke, hob ihn in alter Manier hoch und trug ihn wie eine nasse Katze ins Zimmer. »Was ist los, Peter?« fragte er dabei. »Los, rede! Er ist doch dein Arbeitskollege! Was ist denn los?«
Kaul ließ sich auf das Bett fallen und starrte auf die offene Tür. Die Schuhe Bollanz' ragten noch ins Zimmer.
»Habe ich ihn wirklich umgebracht?« fragte er leise. »Habe ich ihn endlich umgebracht? Oh, ist das schön! Ist das schön!«
Judo-Fritze gab ihm eine Ohrfeige. Ernüchterung, nannte er das. Bei bestimmten Symptomen der Geistesabwesenheit hilft nur eine kräftige Ohrfeige, war seine Ansicht. Prof. Brosius bekannte sich zwar nicht zu dieser Therapie, aber er duldete sie stillschweigend, vor allem auf Station III, Zimmer neunundsechzig bis zweiundsiebzig.
Kauls Kopf zuckte zurück. Seine Augen verschleierten sich.
»Er ist es, Fritz«, stammelte er. »Er … mein ganzes Leben … das Saufen … alles Unglück … nur er … er …«
Judo-Fritze verstand plötzlich alles.
»Hinlegen!« befahl er.
Als Kaul lag, gab er ihm eine Injektion in den Oberschenkel und deckte ihn dann zu.
»Und jetzt schlaf!« sagte er. »Und morgen erzählst du alles dem Chef.«
Im Flur hatte der Volontärarzt unterdessen Hubert Bollanz aufgerichtet. Keuchend lehnte der Angefallene an der Wand, die Würgemale waren rot angelaufen, die Lippen aufgesprungen.
»Sehen Sie sich das an!« rief der junge Arzt. »Ein Mordversuch! Würgen! Der Mann muß sofort in eine Zelle!«
»Wird er auch, Herr Doktor.« Judo-Fritze sah Hubert Bollanz kritisch an. Und dann tat er etwas, was den Volontärarzt völlig aus der Fassung brachte: Er holte aus und schlug Bollanz eine solche Ohrfeige auf die linke Backe, daß der nach Atem Ringende umfiel wie vom Blitz getroffen.
»Sind Sie verrückt, Kellermann?« schrie der Arzt.
Judo-Fritze bückte sich wortlos, warf den schlaffen Körper über die Schulter und wandte sich dann an den Arzt.
»Das verstehen Sie nicht, Herr Doktor«, sagte er laut. »Das ist ein Akt der Kameradschaft!«
»Wo wollen Sie denn mit dem Mann hin?« rief der Arzt fassungslos.
»Ins Freie. Ich lege ihn draußen auf die Bank.«
»Er wird uns eine tolle Anzeige auf den Hals laden!«
»Der? Nie!« Judo-Fritze schob den schlaffen Körper zur besseren Gewichtsverteilung nach hinten. Dann ging er zu einer Tür, die ein Nottreppenhaus abschloß, über das man bei Bränden noch ins Freie flüchten konnte. Dem Glöckner von Notre-Dame gleich tappte er mit seiner Last die dunklen Stiegen
Weitere Kostenlose Bücher