Privatklinik
Akkordeon starb mit einem Mißklang, aber die Paare tanzten auch ohne Musik weiter, schwitzend, johlend, mit verzückten Visagen, vor allem die Glücklichen, die eine weibliche Partnerin hatten.
Die Polizeipfeifen gellten. Stiefel klapperten die Bunkertreppe herunter, Uniformen füllten den Raum vollends, rissen Paare auseinander, drängten die Betrunkenen zum Ausgang, wehrten die Schläge der kreischenden Weiber ab, schleiften Körper zur Treppe und trennten auch Dr. Linden von der Gräfin. Jutta schlug um sich, wurde um den Leib gepackt und weggetragen. Ein anderer Polizist, der den Betrieb bei den Trinkern kannte, ließ es auf keine Diskussion mehr ankommen, sondern griff Dr. Lindens rechten Arm und drehte ihn auf den Rücken.
Linden schrie auf, krümmte sich und fiel auf die Knie.
»Aufstehen! Los!« brüllte der Polizist. »Kein Theater, mein Junge! Das kennen wir! Ab in die Minna!«
Er ließ den Arm los, und Dr. Linden erhob sich keuchend.
»Ich bin Arzt …«, sagte er und schwankte. »Ich protestiere gegen diese Behandlung.«
»Die Schnauze hältst du, versoffener Kerl!« Der Polizist drängte Dr. Linden gegen die Wand. Die erste Gruppe war nach oben geführt und wurde vor dem Bunker in einen Wagen geladen. Bis der zweite Schub geholt wurde, waren nur drei Beamte im Keller, und es war gefährlich wie in einem Löwenkäfig.
»Gesicht zur Wand!« kommandierte der Polizist.
»Ich bin Arzt …«, rief Dr. Linden.
»Zur Wand!« schrie der Beamte.
Langsam drehte sich Linden um. Er legte die Stirn gegen den kalten, feuchten Beton. Hinter sich hörte er eine kreischende Mädchenstimme. Stoff zerriß mit einem lauten Geräusch.
»Ich zeige euch an!« schrie die Stimme. »Ihr habt mir die Kleider vom Leib gerissen! Ihr geilen Hunde! Meint ihr, weil ihr 'ne Uniform anhabt, könnt ihr alles mit uns machen? Finger weg!«
Er hörte einige klatschende Schläge, die Frauenstimme gellte, als schlachte man sie ab, der Fall eines Körpers, die Stimme eines Polizisten … : »Faß an, Heinrich, das kennste noch nicht. Das machen die immer so! Kleider vom Leib, hinfallen lassen und später aussagen, wir hätten was von ihnen gewollt! Merk dir eins: Es gibt für uns Polizisten nichts Schlimmeres als besoffene Weiber … Raus mit ihr …«
Aus dem bereits gefüllten Gefängniswagen, der ›Grünen Minna‹, tönte Johlen und Singen. Ein Beamter mit einer silbernen Kordel an der Mütze sah Dr. Linden wütend an, als er aus dem Bunkereingang hervorkam. Polizeiobermeister Schmitz machte in dieser Nacht seine dreiunddreißigste Razzia in den Bunkern und Absteigen. Dreiunddreißigmal hatte er in Abgründe gesehen, von denen man auf keiner Polizeischule etwas erfährt. Er hatte es sich abgewöhnt, sich zu wundern. Aber er hatte auch einen Blick gewonnen für die notorischen Säufer und für die, die noch nicht lange im Sumpf menschlicher Selbstaufgabe schwammen. So fiel ihm Lingen sofort auf, dessen Hose sogar eine Bügelfalte hatte.
»Einen Augenblick!« sagte Polizeiobermeister Schmitz und hielt den taumelnden Linden fest. »Wer sind denn Sie?«
Dr. Linden lehnte sich erschöpft gegen den Polizisten.
»Ich möchte nach Hause …«, sagte er leise.
Polizeiobermeister Schmitz hielt den Schwankenden aufrecht.
»Wo wohnen Sie denn?« fragte er.
»In einem Hotel. Ich habe den Namen vergessen. Es liegt irgendwo am Rhein … Bringen Sie mich irgendwohin. In meiner Brusttasche ist Geld genug. In das nächste Hotel bitte … Ich bin Doktor Linden. Ich bin Arzt …«
Polizeiobermeister Schmitz reagierte schnell. Er hatte vor wenigen Stunden die neuen Fahndungsersuchen bekommen. Da er keine Zeit mehr hatte, sie genau durchzulesen, hatte er sie nur durchgeblättert. Der Namen Linden war ihm dabei aufgefallen, warum, das wußte er jetzt nicht mehr. Aber Linden war dabei.
»Kommen Sie«, sagte er und schob Dr. Linden vor sich her zu dem grünen Volkswagen, der neben der zweiten ›Grünen Minna‹ stand. »Ich bringe Sie nach Hause …«
Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon im Hotelzimmer Brigitte Lindens. Es klingelte fünf Minuten lang, aber niemand hob den Hörer ab. Brigitte Linden fuhr in dieser Nacht mit einer Taxe die in Köln bekannten Absteigen ab. Sie suchte ihren Mann, der zu dieser Zeit im Zimmer siebzehn des Polizeipräsidiums in einem Sessel lag und schlief.
Pfarrer Merckel hatte eine lange Aussprache mit Prof. Brosius. Er hatte sich dazu gestärkt mit einer guten Flasche, hatte sich danach den Hals
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