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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Urlaub, spannen Sie aus. Sie sind überarbeitet! – Aber sonst? Nichts! Auch ein Bischof ist ein Mensch … vielleicht trinkt er auch, wenn er an solche Fragen denkt? Prof. Brosius sah auf den stillen, bärenstarken Pfarrer und räusperte sich, als er ihm ansah, wie weit weg er mit seinen Gedanken war.
    »Ich werde es mir überlegen«, sagte er. »Zugegeben, der Grund des Trinkens ist ausgeräumt. Aber ein Mensch, der sich an den Alkohol gewöhnt hat, trinkt auch weiter, wenn er keinen Grund hat. Er muß einfach. Es ist ein einfacher, aber grundlegender Lehrsatz: Ein Säufer braucht den Alkohol wie die Lunge die Luft. Alles in ihm schreit nach dem Stimulanz Alkohol, ganz gleich, ob nun eine Psychose der Anlaß war oder eine andere Lebensangst oder eine Vererbung. Es gibt Fälle – ich kenne sie aus meiner Praxis –, da brachte es ein Trinker fertig, ein halbes Jahr keinen Tropfen Alkohol zu trinken … und dann, ohne Anlaß, soff er zwei Flaschen leer und vergiftete sich. Trinker sind unberechenbar, Herr Pfarrer. Wenn ein Dieb schwört, nie mehr zu stehlen, wenn ein Betrüger beteuert, nie mehr zu fälschen – ja, wenn ein Mörder Reue zeigt: Ich glaube ihnen! Einem Trinker, der schwört, nie mehr zu saufen, glaube ich nie! Kennen Sie eine Katze, die mit einer Maus Freundschaft schließt?«
    »Versuchen Sie es mit Peter Kaul, Herr Professor.« Merckel sah auf seine mächtigen Hände. Der Geruch des Cognacs brachte ihn um den Verstand, um so mehr, als das Gespräch ihn wieder zu den Problemen hingeführt hatte, die er nur mit Alkohol ertragen konnte. Er spürte, wie es in ihm heiß wurde, wie Schweiß an seinem Körper ausbrach, wie seine Finger zu zittern begannen … erst in den Spitzen, dann von Gelenk zu Gelenk, bis es zum Flattern wurde. Er erhob sich abrupt. Ich muß gehen, dachte er. O Himmel, ich muß gehen, sonst greife ich über den Tisch und nehme die Flasche! Mein Gott, gib mir Stärke! Wenn ich in meiner Kammer saufe, sind wir unter uns. Dann bete ich vor jedem Schluck.
    »Versuchen Sie es, Herr Professor …«, wiederholte er eindringlich. »Und zu den Anonymen Alkoholikern möchte ich ihn auch bringen. Er wird gerettet werden, indem er andere rettet …«
    »Jetzt fangen Sie auch noch damit an!« Prof. Brosius lehnte sich zurück. »Heute nachmittag kommen sie wieder, die Anonymen Alkoholiker. Mit schönen Reden! Mit ihren eigenen Lebensbeispielen! Ich habe fast den Eindruck, daß es gar keine echten Alkoholiker waren, sondern lediglich Männer, die mal einen Guten hinter die Binde gossen, mit ihren Frauen krach bekamen und nun in einer Art von Lammfrommheit herumziehen und Wanderprediger der Enthaltsamkeit wurden.«
    »Nein. Es sind echte Trinker!« sagte Pfarrer Merckel dumpf und starrte zum Fenster. Aber selbst in dieser abgewandten Haltung spürte er wie ein wärmendes Feuer die Nähe der Flasche. »Sie lebten wie die Schweine …«
    »Könnten Sie durch solche Vorträge geheilt werden, wenn Sie Trinker wären? Ehrlich, Herr Pfarrer.«
    »Ich weiß nicht.« Merckel hob die breiten Schultern. »Ich glaube nicht.«
    »Aha!«
    »Aber ich wäre – wenn ich trinken würde – auch eine Ausnahme! Jeder in das Leben zurückfindende Trinker hat in sich die Moral wiederentdeckt. Er hat seinen sogenannten ›guten Kern‹ gefunden. Er ist vom Schicksal anderer angerührt worden. Wenn ich, der Priester, saufen würde, nützte das alles nichts mehr, denn wenn Gott nicht stark genug ist, mich davon abzuhalten, wie sollten es da die Menschen können …«
    Pfarrer Merckel verließ die Landesheilanstalt, als müsse er zu einer dringenden seelsorgerischen Aufgabe. Er rannte fast – aber nur bis zur nächsten Wirtschaft. Dort kippte er zwei Klare und fühlte sich wieder ruhiger, als er die brennende Flüssigkeit durch seine Kehle rinnen spürte. Das Zittern der Hände ließ nach. Er faltete sie und sah aus dem Gasthausfenster hinaus auf die Straße.
    Die Sonntagspredigt mußte noch geschrieben werden.
    Thema: Gott ist ein guter Hirte. Die Menschen sind seine Lieblingsgeschöpfe … die Menschen, die sich in jeder Minute irgendwo auf der Erde gegenseitig zerfleischen.
    Im nächsten Lebensmittelladen kaufte Pfarrer Merckel zwei Flaschen Korn. Die Sonntagspredigt machte es notwendig …
    In einem Bett, das er nicht kannte, in einem Zimmer, das ihm fremd war, in einer Luft, die nach Kölnisch Wasser roch, in einem Nachthemd, das zwar ihm gehörte, das er aber nicht mit auf seine Flucht genommen hatte, erwachte Dr.

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