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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ausgebildetes Gefühl, wer zu uns gehört oder wer nur ›mal hereinriechen‹ will …«
    Dr. Linden nickte. Er setzte die Flasche an die Lippen und trank. Das Getränk brannte in seinem Gaumen und rann wie Feuer in die Kehle, sein Adamsapfel zuckte, als würge ihn jemand, in der Speiseröhre ätzte es wie Salzsäure. Ich werde eine Ösophagitis bekommen, dachte er dabei und wunderte sich selbst über die Ruhe und Sicherheit, mit der er diese Worte streng medizinisch dachte. Daraus wird sich ein Ösophagus-Karzinom entwickeln, es wird eine Ösophagektomie erfolgen und dann der Tod. Aber vielleicht werde ich vorher an diesem höllischen Gesöff eingehen. Ich werde eine Mumie werden wie die Gespenster dort an den Wänden, ich werde nur noch leben können mit Alkohol in Hirn und Blut, ich werde mich krümmen und wimmern wie ein getretener Hund, wenn ich am Morgen aus dem Rausch erwache und nicht sofort wieder zur Flasche greifen kann. Ich werde trinken, bis ich innerlich verbrannt bin.
    Er nahm noch einen Schluck, und diesmal brannte es nicht so sehr. Man gewöhnt sich schnell daran, dachte er weiter. Der dritte Schluck wird kaum noch zu spüren sein, der vierte schmeckt sogar, der fünfte ist ein Genuß, der sechste wird ersehnt, der siebte entführt in den Himmel.
    Er umklammerte die Flasche und sah auf Jutta, die Gräfin. Sie hatte den von René zugeworfenen ledernen Kasten geöffnet und zog mit einer Spritze eine wasserhelle Flüssigkeit aus einer kleinen gläsernen Phiole. Sie verrichtete diese Arbeit mit glänzenden Augen und bebenden Fingern, ab und zu fuhr ihre Zunge blitzschnell über die Lippen, genußvoll, erwartungsvoll, als seien ihre Lippen unter glühenden Küssen und nagenden Zähnen aufgesprungen. Dann schob sie den Rock des Kleides hoch, zog den Strumpf des rechten Beines herab, strich mit der flachen Hand liebevoll über das nackte, fahle Fleisch, schob die Spritze zwischen Zeige- und Mittelfinger und legte den Daumen auf den Kolbenhals, stieß dann zu, daß die dünne Nadel tief in ihren Schenkel drang und drückte mit einem entrückten Lächeln den Kolben der Spritze nach unten. Beim Herausziehen preßte sie den Daumen gegen den Einstich, er blutete kaum, die Tropfen an der Fingerkuppe wischte sie am Saum des Rockes ab, zog den Strumpf wieder hoch, hakte ihn fest, strich das Kleid herunter und lehnte sich aufatmend gegen die feuchte Betonwand.
    Ihr Gesicht belebte sich unheimlich schnell. Es war, als habe eine Zauberhand darüber gestrichen. Die Runzeln und Falten glätteten sich. Was Placentacreme für den Normalverbraucher, ist ein Spritzchen für den Süchtigen. Man quillt auf wie ein getränkter Schwamm, das Blut schäumt, die Hirnnerven zittern vor Energie. Was ist die Welt wert … her mit ihr, damit man sie umarmen oder zerreißen kann, ganz wie's beliebt!
    Dr. Linden nahm den vierten Schluck aus der Flasche, den Schluck, der schon schmeckt. René fing das Lederetui auf, das ihm die Gräfin mit einem höflichen »Danke, mein Lieber!« wieder zuwarf. Die Gestalten an den Wänden starrten auf die kleine Gruppe. Ergriffen von der plötzlichen Erkenntnis, daß diese Menschen gar nicht begriffen, was sie anstarrten, setzte Dr. Linden die Flasche ab.
    Von der Treppe her polterte es. Jemand fluchte, brüllte. »Solche Scheiße! Da hat einer auf die Treppe gekotzt!«, die Tür flog auf und gegen die Wand; Jim, das Kamel, trat ein.
    Warum er ›das Kamel‹ hieß, wußte Linden noch nicht. Wie alle in diesem Kreis hatte auch Jim seine Vorgeschichte. Sah Emil wirklich wie ein Riesenfisch aus, war René wirklich ein vollendeter Kavalier, konnte Jutta tatsächlich ihre gräfliche Herkunft nachweisen, so war Jim, der eigentlich Johann Borbecke hieß und aus dem Sauerland stammte, aus dem kleinen Dorf Hillemecke im Arnsberger Wald, äußerlich weder ein Kamel noch vom geistigen her. Im Gegenteil, Johann Borbecke hatte einmal sein Abitur gemacht und studierte in Aachen Maschinenbau, als er, der biedere, fleißige Bauernsohn aus dem Sauerland, in die Hände eines Mädchens geriet, das sich Bibi nannte. Von Bibi bekam er außer einem Unterricht in Liebe, der sich schon wesentlich von dem unterschied, was Johann bisher unter Liebe verstand, auch eine hochvirulente Gonorrhöe, die ihn ein Semester kostete und zur Betäubung von Schmerz, Scham und Ekel zum Alkohol trieb.
    Dabei blieb er dann, getreu dem Gesetz der schiefen Ebene, daß die Geschwindigkeit eines Körpers, der erst einmal abwärts rollt, sich

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