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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ihre Gattin kann gut Blau tragen, gerade dieses Blau macht so jung. Die neue Farbe, gewiß, pastell alles, zart und luftig, kommt aus Paris, jawohl, reiner Import, deshalb so preiswert, EWG, Sie wissen ja, und dieser spitze Ausschnitt, schick, ganz schick, bei dem schönen Hals, den Sie haben, gnädige Frau … oder dieses Rot, zu Ihren Haaren, dieser Gegensatz, und der Rollkragen, wird ganz modern im nächsten Jahr, gnädige Frau können gut sportlich tragen, bei der Figur …
    Hände, die in Pullovern wühlen, Finger, die die Weichheit der Wolle ertasten, Augen, die die Form kritisieren, Worte, Fragen, Antworten … Unbemerkt schlich sich Dr. Linden fort, ging unter im Menschengewühl, ertrank in den wogenden Leibern.
    Erst als Brigitte sich mit einem Pullover umdrehte und ihn um Rat fragte, entdeckte sie, daß sie allein war.
    »Der Herr ist weitergegangen«, sagte die Verkäuferin. »Ich glaube, hinüber zu der Buchabteilung. Wollen Sie diesen Pulli nehmen, gnädige Frau?«
    Brigitte nickte stumm.
    Mit der Pullovertüte unter dem Arm verließ sie das Kaufhaus, fuhr mit einer Taxe zum Hotel, bezahlte die Rechnung und ging zum Hauptbahnhof. Dort holte sie aus einer Großgarage ihren Wagen, fuhr über die Brücke nach Deutz, auf die Autobahn und zurück nach Essen. Sie wußte, daß sich der Zufall, Konrad Linden zu treffen, nicht wiederholen würde. Aber sie wußte auch, daß sie ihren Mann jetzt in einer anderen seelischen Verfassung zurückgelassen hatte.
    Er wird kommen, ganz von allein, dachte sie. Mag er sich auch zunächst wieder verkriechen … er ist doch aufgewacht aus seinem Wahn, sein Leben von sich werfen zu können. Jetzt müssen wir geduldig sein. Das ist es, was den meisten von uns fehlt: Geduld! Wer einen Menschen lieben will, muß lernen, was Großmut ist. Mit Überzeugung sagen zu können: »Ich verstehe dich!«, ist ein Heilpflaster aus der Apotheke Gottes …
    Die Insassen von Zimmer siebzig, Station III, saßen in trauter Gemeinschaft nackt auf ihren Stühlen, als die Anonymen Alkoholiker, begleitet von Prof. Brosius und Oberarzt Dr. Schwenker, eintraten. Zwar kommandierte Judo-Fritze mit Brüllstimme: »Der Chef kommt!«, aber das hinterließ bei den nackten Männern nur ein fahles Grinsen.
    Wieder nahmen die Herren von den Anonymen Alkoholikern hinter dem Tisch Platz, der wie ein Richtertisch vor den aufgereihten nackten Männern stand. Was Brosius vermutet hatte, schon beim Eintritt, traf nicht zu … die Anonymen Alkoholiker waren von dem Anblick ihrer Zuhörergemeinde keineswegs betroffen. Sie schienen gar nicht wahrzunehmen, was da auf den Stühlen hockte, welche Ausgeburt von Menschsein und Verfall.
    Der erste Redner begann mit nüchterner Stimme, als verlese er eine Litanei, mit dem obligaten Satz, der jedes dieser Gespräche einleitet, ob in New York oder Tokio, Montreal oder Singapur, Essen oder London, München oder San Franzisko, Paris oder Rio de Janeiro, überall, wo diese ehemaligen Alkoholiker zu ihren noch im Trunk lallenden Brüdern sprechen: »Ich heiße Wilhelm T. und bin Alkoholiker …« – da zeigten sich die ersten Reaktionen in den Reihen der Zuhörer. Einer rief: »Prost!«, und ein anderer sagte heiser: »Aber die Pulle haste vergessen, Junge!«
    »Ihr werdet die Pulle hassen lernen«, erwiderte der Redner ganz ruhig. »So wie ich sie jetzt verfluche! Ihr könnt rausgehen, wenn es euch zu dumm ist, was ich erzähle. Aber für die, die hierbleiben, habe ich von meinem Leben zu berichten. Ich war früher einmal ein bekannter Arzt …«
    Prof. Brosius zuckte zusammen und sah zu seinen Oberärzten hinüber. Auch diese blickten betroffen und sahen den Redner an. Es war ein mittelgroßer, ergrauter Mann mit durchgeistigten Zügen, um den Mund einige tiefe Falten, die noch verrieten, welche Vergangenheit überwunden war.
    Die Trinker, zusammengeballt zu einer schwitzenden Opposition, wandten den Kopf wie auf Kommando zu Prof. Brosius. Dann sprach Wilhelm T. weiter, und keiner der Nackten stand auf, um hinauszugehen.
    Nach einer Stunde verließen die Anonymen Alkoholiker wieder das Zimmer siebzig. Prof. Brosius wartete auf dem Flur auf den Redner Wilhelm T. und bat ihn zur Seite.
    »Sie sind Kollege?« fragte er und bemühte sich, jeden abfälligen Ton in seiner Stimme zu vermeiden. »Oder haben Sie nur eine Fabel erzählt?«
    »Ich war Kollege, Herr Professor.« Wilhelm T. nickte. »Heute arbeite ich in der pharmazeutischen Industrie als Abteilungsleiter. Ich habe in meinem

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