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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lebenslauf vor den armen Brüdern etwas ausgelassen, das stimmt. In meiner Trinkerzeit habe ich einhundertsiebzehn Abtreibungen vorgenommen und dann auf Lebenszeit meine Approbation verloren. Ich werde sie nie wiederbekommen. Aber ich fühle mich trotzdem wohl, weil es mir gelungen ist, wieder Anschluß an das vernünftige Leben zu finden.«
    Am Abend meldeten sich vier Trinker von Zimmer siebzig bei Prof. Brosius. Sie baten darum, verlegt zu werden und arbeiten zu dürfen. Sie schworen, nie mehr zu trinken.
    Brosius nickte und grübelte darüber nach, welche geheimnisvolle Macht wohl in den Worten ›Ich bin ein Alkoholiker‹ lag.
    Sie wirkten wie ein Magnet, der die noch Heilbaren aus dem Menschenmüll herauszog.
    Die Entlassung Peter Kauls aus der Landesheilanstalt geschah bewußt genauso geschäftsmäßig wie seine Einweisung.
    Judo-Fritze erschien am Morgen im Zimmer, weckte Kaul mit dem bewährten UvD-Ruf: »Aufstehen!«, zog ihm die Bettdecke vom Körper und fügte hinzu: »Klamotten packen, Peter! Heute ist Entlassung.«
    »Wieso Entlassung?« fragte Kaul und setzte sich im Bett auf. »Anderes Zimmer?«
    »Genau! Weiches Ehebett mit noch weicherer Unterlage!«
    »Laß den Blödsinn, Fritze!«
    »Da kündigt man dir was Gutes an, und du glaubst es nicht! Los, zieh dich an! Bade dich! Rasieren, glatt wie ein Kinderpopo … um zehn Uhr holt dich deine Susanne ab!«
    Peter Kaul starrte auf Judo-Fritze, der pfeifend das Zimmer verließ und auf dem Flur einen Trinker anbrüllte, der schamlos ohne Schlafanzughose vor den geöffneten Türen stand und einen Vortrag hielt.
    Um zehn Uhr, dachte Kaul. Es überlief ihn heiß und dann wieder kalt. Entlassen! Susanne holt mich ab! Das ist alles doch nur ein böser Witz! Keine Untersuchung durch den Professor, keine Tests, keine äußeren Anzeichen … einfach: Entlassen! Raus aus dem Bett in die Freiheit … Das gibt es doch nicht in unserem bürokratischen Zeitalter, in dem jeder Vorgang ein eigenes Aktenstück besitzt, eine Karteikarte, einen Laufzettel, einen Bericht. Man kann doch nicht einfach einen Menschen aus einer Anstalt entlassen, ohne einen Fragebogen auszufüllen, ohne Papier zu beschreiben, ohne Unterschriften, Stempel, Durchschläge, Siegel.
    Peter Kaul glaubte es nicht. Er machte aber einen Versuch. Er ging ins Badezimmer – es war frei, und er konnte ungehindert baden. Er rasierte sich, und niemand stand hinter ihm, um notfalls zu verhindern, daß er sich die Pulsadern aufschnitt. Er zog sich an, was Judo-Fritze während des Bades gebracht hatte … seine Zivilkleider, ein richtiges Oberhemd, einen Schlips, seine grauen Hosen, den Sportsakko, die spitzen italienischen Schuhe. Alles war wieder da … sogar das Taschenmesser und das Kleingeld für die Straßenbahn.
    Entlassung.
    Er hatte nie begriffen, daß ein Wort wie eine ganze Welt sein kann. Wenn er es las, hatte er den Kopf geschüttelt. Übertreibungen der Schriftsteller. Müssen ja was schreiben, die Kerle.
    Aber nun spürte er, wie das eine Wort ›Entlassung‹ ihn wie auf Flügeln trug. Er mußte sich sogar hinsetzen, weil sein Puls jagte und das Glücksgefühl heftige Übelkeit erzeugte. Man kann vor Freude sterben, dachte Peter Kaul. Wirklich das Herz zerspringt dabei. Der Atem bleibt weg. Ich werde entlassen! Susanne holt mich ab. Um zehn Uhr.
    In einer Stunde. Mein Gott, was ist eine Stunde! Eine Ewigkeit jetzt … Er ließ das Frühstück unberührt. Es war ihm unmöglich, zu kauen und zu schlucken. Beim ersten Versuch blieb ihm der Bissen am Gaumen kleben wie zäher Gummi, er drehte ihn im Mund, er kaute und malmte, aber er wurde dicker und immer dicker, und schließlich spuckte er ihn in das Waschbecken und spülte nach.
    Noch eine halbe Stunde.
    Er rannte im Zimmer hin und her, stürzte ans Fenster, sah auf den Hof, drückte die Stirn gegen die weißen Gitter und atmete tief. Immer noch wartete er darauf, daß Judo-Fritze hereinkam und hämisch sagte: »Na, ganz schön auf'n Arm genommen, was?« Oder daß der Oberarzt erschien oder der Professor selbst sagte: »Herr Kaul es war ein Irrtum. Auf Station ist ein Patient namens Kühl – das hat Fritze nur verwechselt …«
    Noch eine Viertelstunde.
    Über den Hof kam Susanne. Heinz und Petra gingen neben ihr, Blumen in den kleinen Händen.
    Peter Kaul sank am Fenster auf einen Stuhl. Er weinte.
    Es ist wahr! Es ist wahr! Ich werde entlassen!
    Frei! Frei!
    Ich bin wieder ein Mensch!
    Taumelnd zog er sich an der Fensterbank hoch, drehte den

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