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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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wußte auch die Mündung der Pistole. Die Mündung war genau auf dieses Herz gerichtet, und mit gleichmäßigem, fast gleichgültigem Druck zog Joe Pettigrew den Abzug zurück.
    Der Lärm war lauter als der aus dem Radio, und von anderer Art. Es lag eine Erschütterung dahinter, eine Spur von Gewalt. Wer lange Zeit keine Schußwaffe abgefeuert hat, ist jedesmal wieder davon überrascht – von dem plötzlich aufwallenden Leben in dem Werkzeug des Todes, der ruckartigen Bewegung in der Hand, die es hält, wie eine Eidechse, die über einen Stein huscht.
    Erschossene fallen auf unterschiedliche Weise. Porter Green fiel zur Seite, das eine Knie knickte vor dem anderen ein. Er fiel mit elastischer Beweglichkeit, als wären seine Kniegelenke nach allen Richtungen elastisch. In der einen Sekunde, die er zum Fallen brauchte, erinnerte sich Joe Pettigrew an die Rummelplatzdarbietung, die er vor langer Zeit gesehen hatte, als er selbst noch im Schaügeschäft tätig war: der Auftritt eines großen, dürren, skelettlosen Mannes und eines Mädchens. Mitten während dieses albernen Auftritts fiel der Mann ganz langsam zur Seite, wobei sich sein Körper wie ein Schlauch von unten nach oben zur Seite auf den Boden legte, so daß man von Fallen gar nicht sprechen konnte. Mühelos und ohne Aufprall legte er sich auf die Bretter. Sechsmal machte er das. Beim erstenmal war es lediglich lustig, beim zweitenmal war es schon erregender, ihm zuzuschauen und sich zu fragen, wie er das machte. Beim viertenmal begannen die Frauen unter den Zuschauern zu schreien: »Er soll aufhören. Er soll aufhören.« Er tat es nicht. Und am Schluß des Auftritts hatte er es erreicht, daß alle leicht zu beeindruckenden Leute am Rande der Hysterie waren, mit Schaudern daran dachten, was er noch alles anstellen würde, wobei sie wußten, daß er es tun würde, ohne daß sie es wollten, weil es unmenschlich, unnatürlich war und kein normal gewachsener Mensch in der Lage sein konnte, so etwas zu tun.
    Joe Pettigrew verdrängte die Erinnerung an diese Szene, konzentrierte sich wieder auf die gegenwärtige, und da lag Porter Green auf dem Boden, den Kopf auf dem Teppich, und da war kein Blut, und zum erstenmal sah Joe Pettigrew in sein Gesicht und bemerkte die tiefen Risse, von denen es bedeckt und zerkratzt war und die von den langen scharfen Fingernägeln einer wütenden Frau stammten.
    Dieser Anblick brachte das Faß zum Überlaufen. Joe Pettigrew öffnete den Mund und schrie wie ein aufgespießtes Pferd.

5
     
     
    In seinen eigenen Ohren klangen die Schreie, als kämen sie aus weiter Ferne, wie Geräusche aus einem anderen Haus. Ein dünnes, nervenzermürbendes Kreischen, das nichts mit ihm zu tun hatte. Vielleicht hatte er gar nicht geschrien. Es könnte ein Fahrzeug gewesen sein, das mit zu hoher Geschwindigkeit in die Kurve gefahren war. Oder wie eine verlorene Seele auf ihrem steilen Sturz geradewegs in die Hölle. Physisch empfand er überhaupt nichts. Er schien um den Tisch zu schweben und um den Leichnam von Porter Green. Aber es gab ein Ziel, auf das er zuschwebte oder wie man die Art seiner Bewegung auch immer bezeichnen wollte. Jetzt hatte er die Tür erreicht. Er versperrte sie. Er befand sich bei den Fenstern. Sie waren geschlossen, aber eines war nicht verriegelt. Er verriegelte es. Vor ihm das Radio. Er schaltete es aus. Schluß mit dem Bum-bum. Stille wie die des interstellaren Raums hüllte ihn ein wie ein langes weißes Leichentuch. Er bewegte sich quer durch den Raum zu den Schiebetüren.
    Er ging hindurch in Porter Greens Zimmer, das vor langer Zeit das Eßzimmer gewesen war, damals, als Los Angeles noch jung und heiß und trocken und staubig gewesen war und noch zur Wüste gehört hatte und zu den raschelnden Alleen von Eukalyptusbäumen und üppigen grünen Palmen, die noch immer die Straßen säumten.
    Von der ursprünglichen Einrichtung des Eßzimmers war nur noch der eingebaute Geschirrschrank zwischen den beiden Nordfenstern übrig. Hinter den verglasten Türen standen jetzt Bücher. Nicht viele. Porter Green hatte nicht zu denen gehört, die oft ein Buch in die Hand nahmen. Das Bett stand an der Ostwand, hinter der der Frühstücksraum und die Küche lagen. Das Bett war ungemacht, und es lag etwas darauf, aber Joe Pettigrew befand sich nicht in der Stimmung nachzusehen, was es war. Neben dem Bett führte eine Tür aus dem Raum. Einst war es eine Schwingtür gewesen, die man jedoch durch eine solide Tür ersetzt hatte, mit einem

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