Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
kommen einem mit der gleich vorher. Das hat was für sich.«
»Die einer Dame geschuldete Ehrerbietung wollte ich dadurch keineswegs verletzen«, erklärte er.
Ihm war nicht heimlich. Diese bunte Frauensperson sprach von Dingen, in die er nicht mit seiner gewohnten Klarheit eindrang. Überdies befanden sich ihre Knie nun schon zwischen seinen eigenen. Sie merkte, daß sie auf dem Wege ihm zu mißfallen war, und machte auf einmal ein stilles, vernünftiges Gesicht.
»Da läßt man lieber den ganzen Dreck und bleibt anständig.«
Da er nichts einwendete: »Hat der Wein schön geschmeckt? Den haben nämlich Ihre Schuljungen gestiftet. Die legen sich mächtig ins Zeug, sag ich Ihnen. Einer is bei, der hat Pinkepinke.«
Sie goß ihm sein Glas nochmals voll. Im Wunsch, ihm zu schmeicheln: »Ich lach mir ja ’n Ast, wenn die Bengels nachher wiederkommen, und Sie haben ihnen alles weggepichelt. Mich kann es manchmal freuen, wenn einer irgendwie zu Schaden kommt. Man wird allmählich so.«
»Wahrlich doch«, stotterte Unrat; und mit dem Glas in der Hand schämte er sich, weil er von Lohmanns Wein getrunken hatte. Denn der Schüler, der ihn bezahlt hatte, war Lohmann. Lohmann war hier gewesen; er war vor den andern entkommen. Vermutlich war er noch in der Nähe. Unrat schielte nach dem Fenster: die Gardine trug immer den etwas formlosen Abdruck eines Gesichts. Er wußte, wenn er darauf lossprang, würde es weg sein. Das war Lohmann: Unrat erfuhr es durch tiefe Ahnung. Loh-, mann, der Allerschlimmste, mit seiner unnahbaren Widersetzlichkeit, der ihn nicht einmal bei seinem Namen nannte: der war der unsichtbare Geist, mit dem Unrat kämpfte. Die beiden andern waren keine Geister; und Unrat fühlte, daß jene ihn schwerlich bis hierher gebracht haben würden, bis zu den ungewöhnlichen Handlungen, die er nun beging, und dahin, daß er in einem Hinterzimmer, wo es nach Schminke und verfänglichen Gewändern roch, bei der Künstlerin Fröhlich saß. Um des Schülers Lohmann willen aber mußte Unrat bleiben. Ging er, dann saß wieder Lohmann hier und sah der Künstlerin Fröhlich, die ihren Stuhl heranzog, in das bunte Gesicht. Bei dem Gedanken, daß dies nun glücklich ausgeschlossen sei, goß Unrat, ehe er es sich versah, das ganze Glas hinunter. Es brannte wohlig in seinen Gedärmen.
Die beiden dicken Leute im Saal hatten eine weitere Nummer ihres Programms unter hörbarem Atmen zu Ende gebracht. Jetzt schmetterte das Klavier etwas Kriegerisches, und gleich darauf setzten die zwei Stimmen ein, mit überzeugender Wucht, ehrlich dröhnend von vaterländischer Begeisterung:
»Stolz weht die Flagge schwarz-weiß-rot
Von unsres Schiffes Mast,
Dem Feinde weh, der sie bedroht,
Der diese Farben haßt!«
Die Künstlerin Fröhlich sagte: »Das is ihre Zugnummer, das müssen Sie sich mal ansehen.«
Sie öffnete vorsichtig die Tür, darauf bedacht, sich und Unrat den Blicken der Zuschauer vorzuenthalten, und ließ Unrat zwischen den Angeln durch den Spalt spähen. Er sah die beiden dicken Leute, mit einem schwarz-weißroten Flaggentuch um Magen und Bauch, auf der Eisenstange eines Turnrecks stehen und, jeder kühn auf einen Pfosten gestützt, sieghafte Kiefer aufreißen.
»Allüberall, wo auf dem Meer
Empor ein Mast sich reckt,
Da steht die deutsche Flagge sehr
In Achtung und Respekt.«
Man fühlte, das Publikum war tief aufgehoben von innerlichem Drängen. In einer schwindelnden Wallung ließ der und jener seine schwieligen Handflächen aufeinanderkrachen. Nach jeder Strophe mußte von Besonnenen der Beifall mühsam unterdrückt werden. Am Schluß des Gesanges sprengte er die Kehlen. Die Künstlerin Fröhlich äußerte, und sie beschrieb hinter der Tür eine umfassende Geste über den Saal hin: »Nu sagen Sie mal selbst, ob das nich Affen mit Eichenlaub sind! Jeder einzelne von der Menschheit kann doch das olle Flottenlied besser singen als wie die gute Guste mit ihren Kiepert. Und zu allermindest denkt er sich auch was bei. Kiepert und Guste wissen ja zu genau, daß sie bloß Fisimatenten machen fürs Geschäft. Und Stimme haben sie gar keine und Gehör beinahe ebensoviel. Aber man die Fahnen um ’n Bauch, und die Leute stellen ein Leben an, daß ein feiner Besaiteter sich platterdings dafür bedanken würde, und die Dicken müssen was zugeben. Nu sagen Sie selbst!«
Unrat gab ihr recht. Er und die Künstlerin Fröhlich nickten sich zu, in ebenbürtiger Volksverachtung.
»Passen Sie mal auf, was nu los wird«, sagte
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