Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
sie und steckte, bevor die beiden dicken Leute ihre Extranummer anbrachen, plötzlich den Kopf in den Saal.
»Hohohohoho!« machte es draußen.
Sie zog den Kopf zurück.
»Haben Sie gehört?« fragte sie befriedigt. »Die haben mich nu den lieben langen Abend angeglupt, aber zeig ich bloß die Nasenspitze, wo sie nich drauf gefaßt sind, denn muhen sie wie das Vieh!«
Unrat dachte an die verwandten Laute, die in der Klasse entstanden, sobald irgend etwas Unerwartetes vorfiel, und er entschied: »So sind sie immer!«
Die Künstlerin Fröhlich seufzte.
»Nu bin ich gleich wieder dran und muß raus zu der Menagerie.«
Unrat ward von Hast gepackt.
»Schließen Sie nun denn also die Tür!«
Er tat es selbst.
»Wir sind von unserem Gegenstande abgekommen. Sie müssen die Wahrheit preisgeben über den Schüler Lohmann. Ihr Leugnen kann seine Sache nur verschlimmern.«
»Fangen Sie wieder davon an? Das muß ’n sanfter Wahn von Ihnen sein.«
»Ich bin der Lehrer! Dieser Schüler ist ein so beschaffener, daß er die höchsten Strafen verdient. Seien Sie eingedenk Ihrer Pflicht, damit kein Verbrecher der Gerechtigkeit entkomme!«
»Liebes Gottchen! Sie wollen gewiß Wurst machen aus dem Menschen!
Wie
heißt er? Überhaupt hab ich für Namen kein Gedächtnis. Wie sieht er denn aus?«
»Er ist gelblich von Gesicht; er hat einerseits eine breite Stirn, welche er auf eine gewisse überhebliche Art in Falten legt, andererseits aber schwarze Haare in derselben. Von mittelgroßer Gestalt, bewegt er dieselbe mit einer sozusagen nachlässigen Geschmeidigkeit, hierdurch bereits die Zuchtlosigkeit seines Sinnes bekundend …«
Unrat formte das Bildnis mit den Händen. Der Haß machte ihn zum Porträtisten.
»Und?« fragte die Künstlerin Fröhlich, mit zwei Fingern am Mundwinkel. Aber sie hatte Lohmann schon wiedererkannt.
»Er ist – traun fürwahr – recht geschniegelt und erachtet es für angemessen, seiner Eleganz durch ein schwermütigunbeteiligtes Verhalten das Ansehen zu geben, als sei sie von selbst da und nicht vielmehr eine Tochter seiner, der Verachtung des Weisen würdigen Eitelkeit.«
Sie stellte fest: »Das genügt. Mit dem kann ich nich dienen, tut mir leid.«
»Nachgedacht! Vorwärts!«
»Schade. Der wird nich gereicht«; und sie schnitt eine Clownsfratze.
»Ich weiß, daß er hier gewesen ist; ich habe Beweise!«
»Denn können Sie ihm die Krawatte ja alleine zuziehn und brauchen mich nich dazu.«
»Ich habe da in meiner Tasche das Aufsatzheft des Lohmann; wenn ich Ihnen dasselbe zeigen würde, dann zweifle ich nicht, daß Sie sofort zugeben würden, ihn zu kennen … Drum denn, soll ich es Ihnen zeigen, Künstlerin Fröhlich?«
»Ich bin ganz närr’sch drauf.«
Er griff in seinen Rock, errötete wolkig, zog die Hand leer zurück, wagte es noch einmal … Sie las endlich Lohmanns Verse, angestrengt, wie ein Kind über der Fibel. Dann, aufwallend: »Das is aber wirklich ’ne Niedertracht. ›Und kommst du erst mal in die Wochen.‹ Wer woll eher in die Wochen kommt.«
Und nachdenklich: »Aber so dumm, wie ich dachte, is er nich mal.«
»Sehen Sie wohl, Sie kennen ihn!«
Sie, sehr schnell: »Wer sagt das? Nee, Männeken, fangen gibt’s nich.«
Unrat sah sie giftig an. Plötzlich stampfte er auf; so viel hartnäckige Verlogenheit nahm ihm die Fassung. Ohne nachzudenken, log er selbst.
»Ich weiß es, ich habe ihn ja gesehen!«
»Denn is alles in Ordnung«, sagte sie gelassen … »Übrigens, jetzt möcht ich ihn wohl kennenlernen.«
Sie beugte unerwartet ihre Büste vor, tastete mit ganz leichten Fingern unter Unrats Kinn, auf die kahlen Flecken zwischen seinen Barthaaren, und machte einen Mund wie zum Saugen.
»Stellen Sie ihn mir vor, ja?«
Aber sie mußte lachen; er sah aus, als ob ihre zwei leichten Finger ihn erdrosselten.
»Ihre Schüler sind überhaupt flotte Jungen. Das kommt gewiß, weil sie so ’nen flotten Lehrer haben.«
»Welchen mögen Sie von den jungen Leuten denn nun wohl am liebsten?« fragte Unrat, unerklärlich gespannt.
Sie ließ ihn los und bekam ohne Übergang wieder ein ganz stilles, vernünftiges Gesicht.
»Wer sagt Ihnen, daß ich von den dummen Jungen überhaupt einen mag. Wenn Sie wüßten, unsereiner – all die Windbeutel gäb ich mit Freuden hin für einen bessern Mann in reifern Jahren, dem es nich bloß wegen dem Amüsieren is, sondern mehr wegen dem Herzen und wegen dem Reellen … Das wissen die Männer man nich«, setzte sie hinzu, mit
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