Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
leichter Trauer.
Die beiden dicken Leute kamen zurück. Die Frau fragte, noch ehe sie verschnauft hatte: »Nu, wie hat er sich geschickt?«
Das Klavier machte sich sofort an das Nächste.
»Na, rin ins Vergnügen«; und die Künstlerin Fröhlich legte sich einen Shawl über die Schultern und ward dadurch noch bunter.
»Sie wollen nu woll nach Haus?« fragte sie. »Das begreif ich; ’n Paradies is es hier ja nich. Aber Sie müssen morgen wiederkommen, wissen Sie, sonst machen Ihre Schuljungen hier Unfug, das können Sie sich selber sagen.«
Und sie ging.
Unrat war noch verwirrt durch den seltsamen Abschluß ihres Gesprächs, er ließ wortlos über sich bestimmen. Der Artist öffnete die Tür.
»Gehen Sie man immer hinter mir her, dann kommen Sie ohne Krawall durch.«
Unrat folgte ihm um den Saal herum, durch eine freie Bahn, die er vorhin verfehlt hatte. Ein Stück vorm Ausgang schwenkte der Artist ab. Unrat sah nochmals dahinten ein Paar Arme, eine Schulter, irgendein heftig beleuchtetes Stück Fleisch inmitten einer Drehung bunter Farben aufglänzen, über dem Rauch, über dem Lärm … Er war draußen. Der Wirt kam eben wieder mit dem Bier; er rief: »Nabend auch, Herr Professer, und beehren Sie mein Lakal bald wieder!«
Im Torgang verweilte Unrat noch und suchte sich wiederzufinden. Er verspürte die Wirkung der kalten Luft auf seinen Kopf und bemerkte, daß ohne Wein und Bier zu der ungewohnten Stunde dieses ganze Erlebnis schwer zustande gekommen wäre … Er machte einen Schritt auf das Gäßchen und erschrak: an der Hauswand lungerten drei Gestalten. Er schielte hin aus den Brillenecken; und es waren Kieselack, von Ertzum und Lohmann.
Unrat machte eine scharfe Wendung; hinter sich hörte er ein Schnaufen, das aus der breitesten der drei Brüste kommen mußte, aus Ertzums Brust, und das nach Empörung klang. Da erscholl Kieselacks Quetschstimme: »In dem Haus, wo eben einer rausgekommen is, soll es aber ’ne ganze Masse sittlichen Unrat geben.«
Unrat zuckte empor; vor Wut und Angst fletschte er die Zähne.
»Ich werde Sie alle zerschmettern. Morgen bringe ich – wahrlich doch! – das Geschehene zur Anzeige!«
Niemand antwortete. Unrat machte nochmals kehrt und schlich zwei, drei Schritte weiter, in einem drohenden Schweigen. Da, ganz langsam, sagte Kieselack, und Unrat zuckte bei jedem der zwei Worte mit dem Nacken: »Wir auch!«
V
Lohmann, Graf Ertzum und Kieselack spazierten hintereinander um den Saal. Wie sie unter der Bühne vorbeikamen, stieß Kieselack einen schrillen Pfiff aus.
»Ins Kabuff!« kommandierte er; und sie drückten sich in die Künstlergarderobe. Die dicke Frau flickte irgend etwas.
»Nu?« fragte sie. »Wo haben Sie denn gesteckt, meine Herren? Ihr Lehrer hat uns Gesellschaft geleistet.«
»Mit dem verkehren wir nicht«, erklärte Lohmann.
»Er ist aber ein feingebildeter Mann und ganz leicht um den Finger zu wickeln.«
»Wickeln Sie!«
»Oh, ich nicht, meine Herren, Sie wollen gewiß uzen. Aber ich weiß jemand –«
Sie kam nicht weiter, denn Kieselack kitzelte sie unter der Achsel. Er hatte sich überzeugt, daß die andern nicht hinsahen.
»Das dürfen Sie nicht, Kleiner«; und sie hob den Klemmer von der Nasenspitze. »Wenn Sie das öfter tun, kann Kiepert Sie mal anblasen.«
»Beißt er?« fragte Kieselack von unten; und die Frau nickte mit geheimnisvollen Falten, als beteuerte sie einem Kinde, der schwarze Mann sei eine Tatsache.
Lohmann sagte von hinten, vom Toilettentisch her, neben dem er, die Hände in den Hosentaschen, auf einem Stuhl lag: »Kieselack, du Frechmops, bist entschieden zu weit gegangen mit Unrat. Was brauchtest du ihn noch zu reizen, wie er hier rausgekommen ist. Er ist ja auch nur ein Mensch, und über seine Kräfte muß man ihm keine Gemeinheiten zumuten. Jetzt kann er uns Stank machen.«
»Ich werd ihm!« prahlte Kieselack.
Ertzum saß in der Mitte, mit den Ellenbogen auf dem Tisch; er knurrte nur, und sein blondrotes Gesicht unter einer Kuppel roter Borsten, die die Hängelampe beglänzte, blieb unverrückt nach der Tür gerichtet. Plötzlich schlug er auf den Tisch.
»Bloß noch ein einziges Mal soll sich dieses Vieh hier blicken lassen, und ich brech ihm alle Knochen entzwei!«
»Fein!« sagte Kieselack. »Dann kann er uns den Klassenaufsatz nicht wiedergeben. Meiner ist ja doch lauter Unsinn.«
Lohmann sah lächelnd zu.
»Die Kleine scheint dich wirklich unterzukriegen, Ertzum. Solche Töne findet nur wahre
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