Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
hastig auf den Blauen Engel zuschlich, bemerkte er nicht gleich den farbigen Zettel im Haustor und suchte ihn einige Sekunden lang, völlig kopflos … Gottlob, da war der Zettel. Die Künstlerin Fröhlich war also nicht, wie Unrat eben gefürchtet hatte, plötzlich abgereist, geflüchtet, vom Erdboden verschlungen. Sie sang noch, war noch bunt, kitzelte noch mit ihrem Blick. Und aus seiner Befriedigung hierüber zog Unrat eine kurze Erkenntnis. Nicht nur, daß ihr der Schüler Lohmann fernbleiben sollte: Unrat selbst wollte bei der Künstlerin Fröhlich sitzen … Aber diese Erkenntnis verdunkelte sich sofort wieder.
Der Saal war noch leer, fast finster, unheimlich weit; und die zahllosen schmutzigweißen Stühle und Tische standen durcheinandergeschoben wie eine Hammelherde auf der Heide. Neben dem Ofen und bei einer kleinen blechernen Lampe saß der Wirt mit zwei andern Männern; sie spielten Karten.
Unrat drückte sich, im Wunsch, nicht gesehen zu werden, wie eine Fledermaus die schattige Wand entlang. Wie er schon ins Künstlerzimmer entwischen wollte, rief der Wirt, daß es schauerlich hallte: »Nabend Herr Professer, das freut mich, daß es Ihnen in mein’ Lakal gefallen hat.«
»Ich wollte nur … ich meinte nur … die Künstlerin Fröhlich …«
»Gehn Sie man rein und warten auf ihr, es is ja man eben sieben. Ich bring Sie auch ’n Bier.«
»Danke«, rief Unrat zurück, »ich bin nicht gesonnen zu trinken … Aber –«, und er streckte den Kopf aus der Tür, »späterhin werde ich wahrscheinlich eine größere Bestellung machen.«
Darauf zog er die Tür zu und tappte in die Nacht der Garderobe hinein. Als es ihm gelungen war, Licht zu machen, räumte er Korsetts und Strümpfe von einem Stuhl, setzte sich an den Tisch, auf dem es noch wie gestern aussah, nahm seine Lehrer-Agenda aus der Rocktasche und begann, aus den Nummern hinter jedem Schülernamen die vorläufige Bewertung der Leistungen zu bilden. Bei E angelangt, sprang er eilig zu M über, gerade wie am Morgen in der Klasse. Hinterher besann er sich, schlug zurück und versah Ertzums Namen mit einem wütenden Ungenügend. Kieselack kam an die Reihe, dann Lohmann. Das Zimmer war lautlos und sicher und Unrats Mund gekrümmt von Rachsucht.
Nach einer Weile schienen sich im Saal die ersten Gäste niederzulassen. Er geriet in Unruhe. Die dicke Frau von gestern trat ein, unter einem schwarzen Hut mit wilder Krempe, und sagte: »Ja was denn, Sie, Herr Professor? Das sieht ja aus, als ob Sie hier übernachtet hätten!«
»Liebe Frau, ich komme wegen gewisser Geschäfte«, belehrte Unrat sie. Aber sie drohte mit dem Finger: »Ihre Geschäfte kann ich mir lebhaft vorstellen.«
Sie hatte Boa und Jacke abgelegt. »Nu müssen Sie aber erlauben, daß ich mir die Tallje auszieh.«
Unrat stammelte etwas und sah weg. Sie kam in einem stark ergrauten Frisiermantel und klopfte ihn auf die Schulter.
»Daß ich es man sage, Herr Professor, ich wundere mich nicht ’n bißchen, daß Sie schon wieder hier sitzen. Das sind wir bei Rosa nicht anders gewöhnt. Wer die mal richtig kennenlernt, der muß sie liebhaben, da gibt’s nischt. Und mit Recht, denn es is doch ’n reizendschönes Mädchen.«
»Das mag ja denn – immer mal wieder – ganz richtig sein, liebe Frau, aber – nicht darum …«
»Nee. Auch wegen dem Herzen, was das Mädchen hat. Das is sogar die Hauptsache. Gott ich sage –!«
Sie legte die Hand auf ihr eigenes Herz, unter dem klaffenden Frisiermantel. Dabei himmelte sie, und ihr Doppelkinn schwankte vor Rührung.
»Die schneid’t sich ja oft genug selbst in ’n Finger, aus purer Menschenliebe! Es muß davon kommen, weil ihr Vater Krankenpfleger war. Ob Sie es nu glauben oder nicht, Rosa hat immer ’ne Schwäche für die älteren Herren gehabt. Und nich bloß wegen
dem
…«
Sie rieb Daumen und Zeigefinger aneinander.
»Sondern weil ihr Herz mal so is. Denn die älteren Herren haben ’ne liebevolle Behandlung am nötigsten … Manchmal is sie wirklich gutmütiger, als von der Polizei erlaubt is. Sehn Sie, ich kenn sie ja von Kindesbeinen. Von mir haben Sie alles aus erster Hand.«
Sie setzte sich auf die Tischkante, engte Unrat ein zwischen ihrer mächtigen Person und der Lehne seines Stuhles, schien ihn ganz in Beschlag zu nehmen und zu umhüllen mit der Atmosphäre dessen, was sie erzählte.
»Wie das Mädchen noch nich sechzehn war, ging sie schon egal ins Panoptikum und zu den Artisten, die da arbeiten. Sie
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