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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Boden tief unter der dünnen klassischen Geistigkeit, worin ihm der Atem ausging; nach der Berührung mit der nackten schwarzen Erde, die ein Jäger an seinen Sohlen fortträgt, und mit der Luft, die einem galoppierenden Reiter ums Gesicht schlägt; nach dem Lärm gefüllter Schenken und zusammengekoppelter Hunde, nach dem Brodem eines herbstlichen Waldes und eines feuchten Pferdes, das Kot fallen läßt … Vor drei Jahren hatte daheim eine Kuhmagd, die er gegen einen starken Viehjungen verteidigt hatte, ihm damit gedankt, daß sie ihn ins Heu geworfen hatte. Durch diese Dirn hindurch fühlte er heute die Chanteuse Rosa Fröhlich. Sie weckte in ihm einen weiten grauen Himmel mit einer Menge heftiger Laute und Gerüche. Sie weckte alles, was seine eigene Seele war. Darum tat er ihr die Ehre an, dies für ihre Seele zu halten, ihr viel, viel Seele beizulegen und sie sehr hochzustellen.
     
    Die beiden Schüler erreichten die Villa des Pastors Thelander. Sie hatte zwei Balkons, in der Mitte des ersten und des zweiten Stocks, zwischen Mauerpfeilern mit knorrigen Reben herum.
    »Dein Pastor ist schon zu Haus«, sagte Lohmann und zeigte auf ein Licht im ersten Stock. Sie kamen näher; das Licht ging aus.
    Ertzum sah verdrossen und schon wieder besiegt nach dem angelehnten Fenster im obern Stock, zu dem er hinauf mußte. Dahinter roch es, aus seinen Kleidern und seinen Büchern heraus, schon wieder nach der Klasse. Die Luft der Klasse verfolgte ihn Tag und Nacht … Er tat einen Sprung voll plumpen Zorns, kletterte die Reben hinauf, machte halt auf dem Geländer des ersten Balkons und sah sich noch einmal sein Fenster an.
    »Lange mach ich das nicht mehr mit«, sagte er hinunter. Dann stieg er weiter, stieß mit dem Fuß das Fenster auf und ließ sich hinein.
    »Träume sanft«, sagte Lohmann, mit mildem Spott, und kehrte um, ohne das Knirschen seiner Schritte zu vertuschen. Pastor Thelander, der sein Licht löschte, um nichts merken zu müssen, war nicht der Mann, Lärm zu schlagen wegen des nächtlichen Ausganges eines Grafen Ertzum, für den jährlich viertausend Mark Pension bezahlt wurden … Und kaum aus dem Vorgarten heraus, war Lohmann wieder bei Dora.
    So gab nun Dora ihren großen Ball. Sie lachte in dieser Minute hinter ihrem Fächer ihr fremdes, schmachtend grausames Kreolinnenlachen. Assessor Knust lachte vielleicht mit; vielleicht entschied es sich heute für Knust. Denn mit Leutnant von Gierschke schien es aus zu sein … Lohmann zog den Hals ein, drückte die Zähne in die Unterlippe und lauschte drauf, wie er litt …
    Er liebte Frau Konsul Breetpoot, eine dreißigjährige Frau. Seit vor drei Wintern die Tanzstunde einmal in ihrem Hause gewesen war, liebte er sie. Sie hatte ihm einen Orden angesteckt – o nur, weil sie seinen Eltern zu schmeicheln wünschte; er wußte es. Er sah sie seither durch Türspalten, bei großen Festen in seinem Elternhaus, zu denen er keinen Zutritt hatte – sah sie mit ihren Liebhabern: er! Jeden Augenblick konnte die Tür aufgestoßen werden, dann hätte er dagestanden, zerstört, schmerzzerrissen; alles wäre verraten. Und für diesen Fall war Lohmann fest entschlossen, sein Leben zu beschließen. Eine alte Flinte, mit der er auf dem Kornspeicher nach Ratten jagte, lag bereit …
    Er bekundete eine väterliche Freundschaft für ihren jungen Sohn, einen Quartaner, dem er seine alten Aufsätze zum Abschreiben gab. Er liebte ihr Kind! Einmal, als er zugunsten Breetpoots in eine Prügelei der Jungen eingegriffen hatte, war ihm auf mehreren Lippen ein fragwürdiges Lächeln begegnet. Der Flintenlauf kehrte sich schon seiner Brust zu … Nein, niemand wußte es; und Lohmann durfte sie weiter erleben und sich vorspielen, die wilde Keuschheit, die wollüstigen Bitternisse, die schüchterne, eitle, trostreiche Weltverachtung seiner siebzehn Jahre; und die Verse, die er in Nächten auf die Rückseite eines alten Ballordens kritzelte …
    Von ihm also, der ganz durchseucht war mit harmvoller Empfindung, verlangte ein Mädchen wie diese Rosa Fröhlich, er solle sich von ihr zur Liebe angereizt fühlen. Es ließ sich nicht leicht etwas Ironischeres denken. Er machte Verse, auch auf sie – nun ja. Der Gegenstand war doch gleichgültig für die Kunst. Wenn sie meinte, daß das etwas beweise … Sie tat beleidigt, er lachte ihr ins Gesicht, das machte sie natürlich erst recht auf ihn versessen. Er beabsichtigte das wahrhaftig nicht; er war einigermaßen entfernt davon, die

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