Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Chanteuse des Blauen Engels um ihre Liebe zu bitten. Es mußte dort im Saal Matrosen und Kommis geben, die für eine Summe zwischen drei und zehn Mark von ihr beglückt worden waren …
Vielleicht fühlte er sich dennoch geschmeichelt? Warum leugnen. Es gab Stunden, wo er dieses Mädchen zu seinen Füßen zu sehen wünschte, wo er sie begehrte, um sie zu demütigen, um ihren Liebkosungen den Geschmack düstern Lasters zu geben – und durch solch Laster seine eigene Liebe zu beschmutzen, in der auf den Knien bettelnden Dirne sie, Dora Breetpoot selbst, zu erniedrigen und dann vor ihr hinzusinken und köstlich zu weinen!
Von diesen Gedanken durchbebt, ging Lohmann in die Kaiserstraße vor das erleuchtete Haus des Konsuls Breetpoot und erwartete unter den über die Fenster gleitenden Schatten den einen.
VI
Am Morgen trafen Ertzum, Kieselack und Lohmann einander mit bleichen Gesichtern. Inmitten der lärmenden Klasse kam jeder der drei sich vor wie der Verbrecher, der einen Brief mit seinem Namen unterwegs weiß an den Staatsanwalt, und seine Umgebung ist ahnungslos. Nach Minuten zählt die Frist … Kieselack hatte an der Tür des Direktorzimmers gehorcht und behauptete, Unrats Stimme darin gehört zu haben. Er prahlte nicht mehr, er flüsterte Ertzum hinter der Hand mit schiefem Munde zu: »O weih, Mensch!« Lohmann hätte für die kommende Stunde gern mit einem der Ärmsten im Geist getauscht.
Unrat trat hastig ein und machte sich sofort atemlos über seinen Ovid her. Er ließ das auswendig Gelernte hersagen und fing beim Primus Angst an. Dann kamen die Schüler mit B. Bei E angelangt, sprang er ab, nach M hin. Ertzum stieß einen Seufzer aus. Kieselack und Lohmann stellten befremdet fest, daß K und L verschont blieben.
Beim Übersetzen traf keinen von ihnen eine Frage. Sie litten darunter, obwohl sie »ihrs nicht präpariert« hatten. Es ward ihnen zumute, als seien sie ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft, hätten schon den bürgerlichen Tod erlitten. Was konnte Unrat planen? In der Pause mieden die drei einander, aus Furcht, man könne ahnen, es verkette sie ein unheilvolles Geheimnis.
Drei Stunden bei andern Lehrern verstrichen unter häufigem Erschrecken. Ein Schritt auf dem Hof, ein Knarren der Treppe: der Direktor! … Aber es kam nichts. Und die griechische Stunde ließ Unrat hingehn wie die lateinische. Kieselack geriet in Galgenstimmung und reckte eine Hand in die Höhe, obwohl er nicht hätte antworten können. Unrat übersah ihn. Darauf schwenkte er seine blaue Pfote bei allen Fragen durch die Luft und knallte mit den Fingern. Lohmann gab das Warten auf und öffnete unter dem Tisch die »Götter im Exil«. Ertzum, von der Schule wieder unterworfen und klein gemacht, war, wie immer, schwitzend bemüht, der Klasse zu folgen, und blieb zurück, wie immer.
Beim Weggehen waren sie darauf gefaßt, der Kustos werde sie zum Direktor rufen, mit einem Schlimmes versprechenden Lächeln. Nein, der Mann mit der Glocke nahm ganz schlicht die Mütze ab vor den jungen Herren. Draußen sahen sie einander an, mit einem Jubel, der sich fürchtete vorm Ausbrechen. Kieselack war der erste, der ihn steigen ließ.
»Seht ihr wohl! Ich hab gleich gesagt, er wagt es nicht!«
Lohmann war ärgerlich, weil er sich hatte ängstigen lassen.
»Wenn der Mensch meint, er kann mich an der Nase führen –«
Ertzum sagte: »Es kann ja noch kommen.«
Und mit jäher Wildheit: »Es soll nur kommen! Ich weiß, was ich tu!«
»Ich kann mir denken«, sagte Lohmann. »Du prügelst Unrat durch. Dann koppelst du dich mit der Fröhlich zusammen, und ihr springt ins Wasser.«
»Nein – das nicht«, sagte Ertzum erstaunt.
»Menschenskinder, ihr habt ja ’n Spleen«, sagte Kieselack. Und sie trennten sich. Lohmann erklärte noch: »Mir lag eigentlich nichts mehr an dem Blauen Engel. Aber bange machen gilt nicht: jetzt geh ich grade hin.«
Am Abend kamen er und Ertzum fast gleichzeitig vor dem Hause an. Sie warteten noch auf Kieselack. Ihn ließen sie immer vorangehen, zuerst in die Garderobe der Künstler treten, den Mund zuerst aufmachen, zuerst gemütlich werden. Ohne Kieselack wäre dies alles nicht gegangen, sie brauchten ihn und seine Frechheit. Er hatte kein Geld, sie mußten für ihn bezahlen, und Kieselack hütete sich, sie merken zu lassen, was sie alles bezahlten, und daß es seine, Kieselacks, geheime Freuden waren, für die Rosa von ihnen Blumen, Wein und Geschenke entgegennahm.
Er traf endlich ein, ohne
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