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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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geduldig die Korsettbänder. Die Künstlerin Fröhlich lächelte ihm über ihre Schulter zu.
    »Warum haben Sie mir die ganze Zeit den Rücken zugekehrt? Ich bin ja schon längst wieder anständig angezogen.« Sie hatte jetzt einen orangefarbenen Unterrock an.
    »Überhaupt«, fuhr sie fort, »ich hab das ja man wegen Guste gesagt, vom Rumdrehn. Wegen meiner: – ich möcht wohl wissen, wie Sie mich gebaut finden?«.
    Unrat sagte nichts, und sie rückte ungeduldig den Kopf von ihm weg.
    »Ziehn Sie man fest an! … Gott, ich sage! Geben Sie man her, Sie müssen noch viel lernen.«
    Sie schnürte sich selbst. Und da er seine unbeschäftigten Hände noch immer hilflos vor sich hinhielt: »Wollen Sie denn gar nich nett zu mir sein?«
    »Freilich wohl«, stotterte er bestürzt. Er suchte und sagte schließlich, er habe sie in dem schwarzen – in dem schwarzen Gewand noch hübscher gefunden.
    »Sie kleines Ferkel«, sagte die Künstlerin Fröhlich.
    Das Korsett war in Ordnung … Auch Guste hatte Erfolg, gemeinsam mit Kiepert.
    »Nu komm aber ich«, sagte die Künstlerin Fröhlich wieder. »Bloß’s Gesicht mach ich mir noch zurecht.«
    Sie setzte sich vor den Spiegel, fingerte behende mit Dosen, Fläschchen, farbigen Stangen. Unrat sah nichts, als daß ihre dünnen Arme immerfort durch die Luft streiften, und vor seinen verwirrten Augen bildete sich ein verschlungenes Spiel rosa-blaßgelber Linien, die entstanden, wechselten, und deren jede, ehe sie ganz zerging, durch eine neue ersetzt war. Er mußte unbekannte Gegenstände vom Tisch nehmen und ihr bringen. Sie fand, inmitten ihrer fieberhaften Tätigkeit, noch die Muße, mit dem Fuß zu stampfen, wenn er etwas Falsches aufhob, und ihn mit dem Blick zu kitzeln, wenn es recht war. Es war sogar unleugbar, daß ihre Augen die Fähigkeit zu kitzeln in immer höherem Grade erlangten. Unrat konnte endlich keinen Zweifel mehr zulassen darüber, daß es von den Stiften kam, die er ihr gereicht hatte, mit denen sie um das Auge herumstrich; von den roten Flecken in den Winkeln, den roten Strichen über den Brauen und von dem Schwarzen, Fettigen, das sie sich in die Wimpern schmierte.
    »Nu noch den Mund klein machen«, verhieß sie.
    Und auf einmal sah er ihr Gesicht von gestern wieder, das ganz bunte. Die Künstlerin Fröhlich saß erst jetzt vor ihm, die eigentliche. Er hatte sie entstehen sehen und merkte es erst jetzt. Ein flüchtiger Blick eröffnete sich ihm auf die Küche, in der Schönheit, Lust, Seele gemacht wird. Er war enttäuscht und eingeweiht. Er dachte gleich hintereinander: ›Weiter ist es nichts?‹ und ›Das ist aber großartig!‹ Das Herz klopfte ihm – und inzwischen rieb die Künstlerin Fröhlich sich die farbigen Fette, die es ins Klopfen gebracht hatten, mit einem Tuch von den Händen.
    Darauf befestigte sie das verbogene Diadem von gestern in ihrem Haar … Der Saal war im Toben begriffen. Sie zuckte mit der Schulter dorthinaus und fragte, die Brauen gerunzelt: »Haben Sie das vielleicht schön gefunden?«
    Unrat hatte nichts gehört.
    »Nu solln Sie aber sehn, was ’ne Harke ist. Ich singe nämlich heut was Todernstes, drum zieh ich auch lange Röcke an … Geben Sie mir man den grünen herüber.«
    Unrat mußte erst nach rechts und nach links über Kleidungsstücke wegsteigen, daß seine Rockschöße flogen. Schließlich hatte er das grüne gefunden; und im Nu stand sie da, märchenhaft umflossen, ohne Taillenbuchtung, nur um Schoß und Schenkel ein wenig eingeengt von einer Rosengirlande … Sie sah ihn an, er sagte nichts; aber mit seinem Gesicht war sie zufrieden. Sie schritt in großem Stil auf die Tür zu. Kurz davor wandte sie sich um, denn sie erinnerte sich des weiten Fettflecks auf ihrer Rückseite, den Unrat jetzt betrachtete.
    »Den brauch ich den Affen ja nicht zu zeigen, nicht wahr?« erklärte sie, mit grenzenloser Verachtung. Dann erschien sie gnädig in der weit aufgerissenen Tür. Unrat sprang zurück, man konnte ihn sehn.
    Die Tür blieb halb geöffnet. Draußen hieß es: »Gotts Düwel!« und »’n grönsieden Kleed!« und »Wer lang hett, lett lang hängen!«
    Auch wurde gelacht.
    Das Klavier hatte angefangen, Tränen zu vergießen. Im Diskant war es feucht vom Schluchzen, im Baß schnupfte es sich aus.
    Unrat hörte die Künstlerin Fröhlich anstimmen:
    »Der Mond ist rund, und alle Sterne scheinen,
    Und wenn du lauschest, an dem Silbersee
    Steht deine Liebe, und du hörst sie weinen …«
    Die Töne tauchten,

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