Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
begreifen, was mal von Hause aus Künstlerin is … Na, da war ’n alter Herr, der wollte sie ausbilden lassen. Die Ausbildung kennt man ja, die fängt ganz von vorn an bei Adam und Eva und bei dem sauern Apfel. Als sie den intus hatte, kommt sie zu mir und heult. Ich sag natürlich, du, dem Ollen ziehen wir die Kandare an, du bist ja erst in zwei ’ner halben Woche sechzehn, der muß blechen, bis ihm die Luft ausgeht. Aber sie will nicht! Hat man von so was ’n Begriff. Sie hat zuviel Mitleid gehabt mit dem Greis, ich hab sie nicht rumkriegen können. Im Gegenteil, sie is von selber wieder zu ihm hingegangen; das läßt doch tief blicken. Auf der Straße hat sie ’n mir gezeigt: ’n richtiger Krippensetzer. Aber kein Vergleich, nich die Bohne von Vergleich mit Ihnen, Herr Professor!«
Sie tippte ihn mit zwei Fingern gerade ins Gesicht. Da er ihr noch nicht genügend angeregt schien, bestand sie auf dem Gesagten.
»Nich die Bohne, behaupt ich! Und überhaupt war das ’n Ekel. Bald drauf ist er gestorben, und was meinen Sie, was er Rosa vermacht hat? Seine Photographie, unter diskretem Verschluß. Nu platz vor Glück! Nee, da muß doch ’n genereeser Mann, der noch gut erhalten is und auch wirklich Herz hat für so ’n Mächen, der muß doch noch ’n bedeutend tiefern Eindruck machen, sag ich.«
»Freilich denn wohl –«, aber Unrat suchte nach einem schwierigen Übergang. »Sei dem nun aber wie immer ihm wolle, so ist doch dies –«
Sein Lächeln sah vor Verlegenheit giftig aus.
»– kein Einwand dagegen, daß ihr ein junger Bursch, welcher des Geistes einerseits und des Gemütes andererseits nicht völlig ermangelt, immerhin noch mehr zusage.«
Die Frau fiel lebhaft ein: »Wenn Sie sonst keine Schmerzen haben, denn macht es nischt. Die Jungen, die hat unsere Rosa bis hier raus, das glauben Sie
mir
!«
Sie schüttelte Unrat stark an der Schulter, um ihm die Wahrheit körperlich fühlbar zu machen. Dann ließ sie sich vom Tisch auf den Boden plumpsen und sagte: »Da verplaudert man sich. Jetzt muß ich aber an die Arbeit, Herr Professor, ein andermal widme ich mich wieder Ihnen.«
Sie setzte sich vor den Toilettenspiegel und rieb sich das Gesicht mit Fett ein.
»Nu sehn Sie lieber woanders hin, scheen is es nicht.«
Unrat sah gehorsam weg. Er hörte auf dem Klavier einige Töne anschlagen. Der Saal rauschte dumpf, als sei er halb gefüllt.
»Und Ihre Schuljungen«, warf die Frau hin, mit einem Gegenstand zwischen den Zähnen, »die können überhaupt die Hälse lang machen und jiepern!«
Unrat folgte dem Trieb, sich nach dem Fenster umzusehen. Hinter der roten Gardine reckte wirklich ein Schatten den Hals aus.
Im Saal geschah ein langes Hohohoho. Die Künstlerin Fröhlich stand auf der Schwelle, und die Türöffnung hinter ihr ward sogleich versperrt durch die breite Gestalt des Artisten Kiepert. Als sie beide drinnen waren, rief er: »Sehr schmeichelhaft, Herr Professor, daß Sie auch wieder da sind!«
Die Künstlerin Fröhlich bemerkte: »Da is er ja! Na also.«
»Sie wundern sich vielleicht –«, stottert Unrat.
»Aber kein Bein«, erklärte sie. »Helfen Sie mir man aus dem Mantel raus.«
»– daß ich meinen Besuch so schnell wiederhole –«
»Wo wer’ ich denn!«
Sie hatte die Arme, wie Henkel, an ihrem großen roten Federhut, zog Nadeln heraus und lächelte von unten diebisch nach Unrat.
»Aber –«, und er war in Not, »Sie meinten selbst, ich müßte wiederkommen.«
»Nu woll!« – und sie schwenkte den Hut wie ein Feuerrad. Ausplatzend: »Er ist zum Schreien! … Ich wer’ Sie doch nich laufen lassen – Alterchen!«
Dabei beugte sie, die Hände auf den Hüften, ihr Gesicht ganz dicht vor seines.
Unrat sah aus wie ein Kind, das heftig erschrickt, weil die Fee auf dem Theater plötzlich einen falschen Zopf verliert. Die Künstlerin Fröhlich bemerkte es und holte sich sofort aus ihrem Heiterkeitsanfall zurück. Sie seufzte, den Kopf auf der Schulter.
»Aber Sie müssen man nich glauben, daß ich gemeint hab, es könnt mir gar nich fehlen. Da wären Sie falsch unterrichtet. Ich hab im Gegenteil immer zu Guste gesagt: Er ist doch ’n Doktor und ’n Professor, und ich bin ’n armes unwissendes Mädchen, was hab ich so ’nem Mann denn zu bieten … Frau Kiepert, is es vielleicht nich wahr, daß ich das zu Ihnen gesagt hab?«
Die dicke Frau bekräftigte es.
»Aber sie«, sagte die Künstlerin Fröhlich und zuckte unschuldig die Achseln, »sie wollte ja
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