Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
immer wissen, Sie würden wohl wiederkommen … Na, also doch!«
Der Artist gab in dem Winkel, wo er sich umkleidete, unförmliche Laute von sich. Seine Frau machte Zeichen, die ihn beschwichtigen sollten.
»Wer sagt mir aber«, fuhr die Künstlerin Fröhlich fort, »daß Sie überhaupt wegen meiner kommen … Sie helfen mir ja nich mal aus meinem Paletot raus … Vielleicht kommen Sie nur wegen den ekligen Bengels, aus die Sie Wurst machen wollen?«
Und Unrat, errötend, nach Hilfe suchend: »In erster Linie – eigentlich nun wohl zwar – ursprünglich …«
Sie bewegte schmerzlich den Kopf.
Die dicke Frau erhob sich vom Toilettentisch, um ihnen beizustehen. Sie zog eine ausgeschnittene rote Bluse an. Sie war gerüstet und hatte ihren glänzenden Teint von gestern zurück.
»Warum helfen Sie dem Fräulein denn nicht aus ihrem Paletot raus«, sagte sie. »Is das ’ne Art und Weise, wenn ’ne Dame Sie um was bittet?«
Unrat begann, an einem ihrer Ärmel zu zerren. Der ließ nicht los, und die Künstlerin Fröhlich taumelte in Unrats Arme; worauf er ratlos innehielt.
»
So
müssen Sie es machen« – und die dicke Frau unterwies ihn. Ihr Gatte trat lautlos dazwischen, schon in Trikots, mit einem schlangenhaften Fleischwulst von einer Hüfte zur andern und einer behaarten Warze am Hals. Er hielt ein ganz kleines Zeitungsblatt Unrat vor die Augen.
»Das müssen Sie lesen, Herr Professor, der gibt es der Bande.«
Unrat bekam sofort die Sachverständigenmiene, zu der alles Gedruckte ihn nötigte. Er erkannte das sozialdemokratische Lokalblatt.
»Sehen wir denn also«, versetzte er, »wie es – immer mal wieder – mit dieser Leistung bestellt ist.«
»Ausgerechnet die Lehrergehälter«, sagte der Artist. »Wenn ich nicht grade gestern von gered’t hätt.«
»Ach was«, entschied die Frau und nahm Unrat das Blatt weg. »Gehalt hat er genug, er braucht ganz was anders. Das ist nicht deine Sache, nu geh du man raus zu ’s liebe Vieh.«
Im Saal grunzte, brüllte und pfiff es durch den Donner des Klaviers hindurch. Kiepert gehorchte. Er gab sich unvermittelt das von sich selbst entzückte Ansehen, das Unrat schon gestern in Staunen versetzt hatte, und tänzelte über die Schwelle hinaus in den Saal, der ihn lärmend verschlang.
»Den haben sie weg«, sagte die dicke Frau. »Bis sie ihn verknust haben, wolln mir mal der Rosa in die Kleider helfen, Herr Professor.«
»Ja darf er das auch?« fragte die Künstlerin Fröhlich.
»Er wird doch wissen dürfen, wie eine Frau aus- und angezogen wird. Wer weiß, wozu er das noch mal brauchen kann im Leben.«
»Also wenn Sie nichts dagegen haben –«, und die Künstlerin Fröhlich streifte ihren Rock hinunter. Ihre Korsage stand schon offen, und Unrat bemerkte mit einer Art Schreck, daß sie unter den Kleidern überall schwarz war und glänzte. Aber noch seltsamer war für ihn die Erkenntnis, daß sie keinen Unterrock anhatte, sondern ein Paar weite schwarze Kniehosen. Sie schien sich nichts daraus zu machen, sie sah ganz harmlos aus. Unrat aber war es, als flüstere an seinem Ohr eine erste Offenbarung von Mysterien, bedenklichen Sachlagen unter der Oberfläche, unter der gut bürgerlichen Oberfläche, die sich vor den Augen der Polizei auf der Straße zeigt. Und er fühlte einen Stolz, der Angst enthielt.
Draußen hatte Kiepert großen Erfolg und begann etwas Neues.
»Jetzt muß er sich doch lieber rumdrehn«, meinte die Künstlerin Fröhlich. »Jetzt kommt alles runter.«
»Gott, Kind, er is ja ’n vernünftiger, solider Mann, was kann es ihm schaden.«
Aber Unrat hatte sich sofort hastig umgewendet. Er hörte gespannt zu, wie es raschelte. Die dicke Frau reichte ihm, in großer Eile, etwas hin, um die Ecke.
»Da, halten Sie mal das.«
Unrat nahm es, ohne zu wissen, was es war. Es war schwarz, ließ sich ganz klein zusammendrücken und fühlte sich merkwürdig warm an, warm wie ein Tier. Plötzlich entwischte es seinen Händen, denn er hatte durchschaut, warum es so warm war, es war die schwarze Hose!
Indes sammelte er sie wieder auf und verhielt sich ganz still. Guste und die Künstlerin Fröhlich wechselten eilig einige technische Urteile, während sie arbeiteten. Kiepert war schon wieder fertig.
»Ich muß raus«, sagte seine Gattin, »ziehn Sie mal mit an.« Und da Unrat sich nicht rührte: »Stehn Sie auf den Ohren?«
Unrat fuhr herum; er hatte »geschlafen«, wie seine Schüler, wenn ihnen die Stunde zu lange währte. Er erfaßte
Weitere Kostenlose Bücher