Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Stück von ihr, das hervorquoll, und erhoben Geschrei. Die Künstlerin Fröhlich lachte, die Arme über den ganzen Tisch hingeworfen, und riß Unrat so weit mit fort zur Ausgelassenheit, daß er mehrmals mit gestrecktem Hals in Gustes Versteck schielte. Sie machte Huch! und Kiek! Unrat zuckte zurück, und dann unternahm er den schüchternen Spaß von neuem.
Aber die Künstlerin Fröhlich richtete sich mühsam auf. Sie hielt die Luft an, um sagen zu können: »Mit mir würd er das nich machen, da nehm ich Gift drauf.«
Dann pruschte sie aus.
Der Saal schrie nach Kunst, das Klavier war unfähig, ihn länger im Zaum zu halten. Die beiden dicken Leute mußten hinaus.
Mit Unrat allein geblieben, sammelte sich die Künstlerin Fröhlich. Er war auf einmal ganz befangen. Eine Weile war es still bei ihnen, und draußen sang es. Sie wehrte ab: »Schon wieder das dämliche Flottenlied auf der Reckstange. Das verekel ich ihnen noch mal! … Aber Sie, Sie haben ja überhaupt noch gar nicht die Augen aufgemacht, was hier anders geworden ist.«
»Hier im Ka –? Hier?« stotterte Unrat.
»Lassen Sie man, Sie kommen auf nichts … Hat da am Spiegel gestern vielleicht nich was gesteckt? Rechts was un links was?«
»Ach ja – freilich wohl … Zwei Blumensträuße?«
»Und Sie undankbarer Mensch sehn das gar nich, wenn ich Ihnen zu Ehren das Grünzeug in ’n Ofen steck.«
Sie schmollte, von unten herauf. Unrat lugte nach dem Ofen und errötete vor Befriedigung; denn die Künstlerin Fröhlich hatte Lohmanns Sträuße verbrannt. Plötzlich geriet er in heftige Unruhe; der Gedanke war in ihm entsprungen, Lohmanns Sträuße durch zwei andere zu ersetzen, die er selbst der Künstlerin Fröhlich brachte! … Er stellte fest, daß die rote Gardine leer von Gesichtern sei. Und aufgeregt vom Drang, sich mit Lohmann zu messen: »Mein liebes – nun doch immerhin – Fräulein, Sie haben gewiß gestern abend noch mit den jungen Leuten verkehrt?«
»Warum sind Sie auch so früh weggegangen? Was soll ich denn machen, wenn die andern reingetrippelt kommen … Aber ich hab ihnen mal die Wahrheit gesagt, besonders dem einen …«
»Nun, das ist brav … Und am heutigen Abend sind Sie, bei Ihrer Ankunft hier im Gasthause, gewiß draußen – immer mal wieder – den drei Schülern begegnet?«
»Wie mich das wohl glücklich macht.«
»Liebes Fräulein, falls Sie der Blumensträuße und des Sektes nicht entraten mögen, sollen Sie sie von
mir
bekommen. Es ist nicht zulässig, daß Sie dieser Dinge durch Schüler teilhaftig werden.«
Und wolkig gerötet, belebt, alle Gaben rätselhaft geschärft, erkannte Unrat ganz unvermittelt, daß mit dem »Stuß von dem dummen Jungen«, den die Künstlerin Fröhlich nicht noch einmal singen wollte, ihr Lied vom runden Mond gemeint sei, und daß dieses Lied eine Leistung Lohmanns sei! Er äußerte: »Nicht nur das Lied vom runden Mond sollen Sie nicht wieder singen. Sie sollen gar keine Lieder des Schülers Lohmann mehr singen!«
»Und wenn ich derselben nicht entraten mag«, fragte sie, immer lächelnd von unten, »wollen denn
Sie
mir welche machen?«
Hierauf war Unrat nicht gefaßt. Gleichwohl versicherte er: »Ich werde sehen, was sich tun läßt.«
»Ja, sehn Sie mal zu. Und auch sonst – es läßt sich so manches tun. Bloß drauf kommen muß man.«
Und sie führte ihm ihr Gesicht zu mit gespitztem Mund.
Aber Unrat kam nicht drauf. Er sah sie hilflos und mit unbestimmtem Mißtrauen an. Sie erkundigte sich: »Wozu sind Sie denn eigentlich hier?«
»Die Schüler dürfen nicht –«, begann er.
»Na, is gut …« Und sie nestelte an sich. »Ich muß mir nu was Kurzes anziehn. Sie können sich mal nützlich machen.«
Unrat tat es. Die dicken Leute kehrten durstig von ihren Triumphen zurück. Nur noch eine der Flaschen enthielt ein halbes Spitzglas. Kiepert erklärte sich bereit, neuen Stoff herbeizuschaffen. Unrat bat ihn darum. Die Künstlerin Fröhlich bekam rasch noch eingeschenkt, dann mußte sie singen. Sie bedeckte sich mit Ruhm. Der Sekt ward süßer, Unrat immer glücklicher. Zu seiner nächsten Nummer schritt der Artist auf den Händen hinaus und erwarb ungemessenen Beifall. Er benutzte diese Art, sich fortzubewegen, von nun ab jedesmal. Das Temperament der Künstlerin Fröhlich steigerte sich bei jedem neuen Auftreten und ward immer stürmischer anerkannt. Unrat konnte sich nicht mehr denken, daß er einmal vom Stuhl werde aufstehen müssen. Die letzten Gäste gingen
Weitere Kostenlose Bücher