Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
uns einen Gefallen damit.«
Die Angeklagten schwiegen. Die Verteidigung gab zu bedenken, welche vornehme Gesinnung hieraus spreche. Schon während der ganzen Voruntersuchung seien die zwei jungen Leute standhaft geblieben in ihrem Vorhaben, niemand weiter zu kompromittieren.
Auch Kieselack war standhaft geblieben; aber ihm ward es nicht angerechnet. Übrigens hatte er sich seinen Streich nur aufgespart.
»Es war also sonst keiner dabei?« wiederholte der Vorsitzende.
»Nein«, sagte Ertzum.
»Nein«, sagte Lohmann.
»Doch!« rief Kieselack im Quetschdiskant des beflissenen Schülers, der »seins« weiß. »Die Künstlerin Fröhlich war auch noch mit!« Und da alles lauschte: »Die hat es ja überhaupt bloß haben wollen, daß wir das Hünengrab ruinieren sollten.«
»Er lügt«, sagte Ertzum und knirschte.
»Er lügt bei jedem Wort«, ergänzte Lohmann.
»Es is so gewiß wahr!« beteuerte Kieselack. »Fragen Sie man Herrn Professor! Der kennt sie am besten.«
Er grinste nach der Zeugenbank.
»Is es vielleicht nich wahr, daß Ihnen die Künstlerin Fröhlich an dem Sonntag durchgegangen is, Herr Professor? Da hat sie mit uns beim Hünengrab Frühstück gegessen.«
Alles blickte auf Unrat, der zerstört aussah und dessen Kiefer klappten.
»War die Dame dabei?« fragte einer der Richter überrascht und im Tone rein menschlicher Neugier die beiden andern Angeklagten. Sie hoben die Schultern. Aber Unrat brachte hervor, fast erstickt: »Das ist Ihr Ende, Sie Elender! Rechnen Sie sich – immer mal wieder – zu den Toten!«
»Wer ist denn die Dame?« fragte der Staatsanwaltssubstitut, der Form wegen. Denn jeder Anwesende wußte von ihr und Unrat.
»Herr Professor Raat wird uns Auskunft erteilen können«, vermutete der Vorsitzende. Unrat gab nur an, sie sei eine Künstlerin. Darauf beantragte der Substitut die sofortige Vorladung der betreffenden Frauensperson, da ein Interesse bestehe, zu ermitteln, inwiefern sie als intellektuelle Urheberin des fraglichen Delikts für dasselbe mitverantwortlich zu machen sei. Der Gerichtshof beschloß demgemäß, und der Gerichtsdiener ward auf den Weg geschickt.
Inzwischen begutachtete der junge Rechtsanwalt, der Lohmann und von Ertzum zu verteidigen hatte, schweigend Unrats Gemütszustand. Er kam zu dem Ergebnis, daß dies der Zeitpunkt sei, ihn sich aussprechen zu lassen; und er beantragte die Vernehmung des Professors Raat über den allgemeinen, geistigen und sittlichen Zustand der drei Angeklagten, seiner Schüler. Das Gericht gab dem Antrag Folge. Der Staatsanwaltssubstitut, der eine für Konsul Breetpoots Schützling und den Sohn des Konsuls Lohmann unangenehme Aussage befürchtete, hatte vergebens versucht, es zu verhindern.
Wie Unrat vor die Schranken trat, ward gelacht. Er war in beängstigender Aufregung, leidende Wut verzerrte ihn, und er sah feucht aus.
»Es ist kein Zweifel erlaubt«, so begann er sofort, »daran, daß die Künstlerin Fröhlich weder bei jener verworfenen Freveltat noch auch überhaupt bei der ganzen verruchten Landpartie beteiligt gewesen sei.«
Er mußte sich erst vereidigen lassen. Dann wollte er gleich dasselbe noch einmal beteuern. Der Vorsitzende unterbrach ihn wieder; man verlange sein Zeugnis über seine drei Schüler. Da fing Unrat unvermittelt zu schreien an, die Arme aufhebend, und die tiefste Not in seiner begrabenen Stimme, als sei er gegen eine Wand getrieben, finde keinen Ausweg mehr.
»Diese Burschen sind die Letzten des Menschengeschlechtes! Seht sie euch an; so sieht der Nachwuchs des Zuchthauses aus! Von jeher waren es Sobeschaffene, daß sie, die Herrschaft des Lehrers nur widerwillig ertragend, Auflehnung gegen dieselbe nicht allein übten, sondern sogar predigten. Dank ihrer Agitation besteht die Klasse zu einem erheblichen Teile aus Elenden. Sie haben alles darangesetzt, um, sei es durch revolutionäre Machenschaften, sei es durch versuchten Betrug und jede andere Betätigung gemeinster Gesinnung, sich der Zukunft würdig zu erweisen, die sich ihnen hier – traun fürwahr – erschließt. Dies ist der Ort, wo ich Sie im voraus erwartet habe! …«
Und er wandte sich mit dem Racheschrei eines furchtbar Getroffenen den drei Verführern der Künstlerin Fröhlich zu.
»Von Angesicht zu Angesicht, Lohmann –«
Er begann jeden der drei vor versammeltem Gericht und Publikum zu entblößen. Lohmanns Liebesgedichte, von Ertzums nächtliche Ausflüge über die Balkonpfeiler des Pastors Thelander, Kieselacks freches
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