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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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verhalten. Eines Tages, als Unrat die Rechnung über einen größeren Auftrag eben beglichen hatte, öffnete sie die Lippen. Der Herr Professor solle sich doch man umhören, was die Leute sagten. Wenn das nicht ’ne Schande wäre. In seinen Jahren – und überhaupt. Unrat schob ohne Erwiderung das kleine Geld ins Portemonnaie und ging. Zur halb zugezogenen Tür lächelte er nochmals hinein und sagte nachsichtig: »Aus dem für Ihre Worte von Ihnen gewählten Augenblick, gute Frau, ersehe ich, daß Sie die Besorgnis hegten, die allzugroße Offenheit Ihrer Rede möchte Ihnen zu pekuniärem Nachteile gereichen. Indessen, fürchten Sie nichts! Sie sollen auch fernerhin für die Künstlerin Fröhlich arbeiten dürfen.«
    Und er zog sich zurück.
    An einem Sonntagmorgen endlich, während Unrat die Rückseite eines Blattes aus seinen »Partikeln bei Homer« mit dem Konzept eines Briefes an die Künstlerin Fröhlich bedeckte, ward geklopft, und in schwarzem, faltigem Rock und hohem Hut trat Schuhmachermeister Rindfleisch ein. Er machte einen Kratzfuß und sagte befangen, über seinen Spitzbauch weg: »Herr Professer, Morgen, Herr Professer, ich möcht man bloß gebeten haben, daß ich an Herrn Professer darf ’ne Frage richten.«
    »Nur zu, Meister«, sagte Unrat.
    »Ich hab es mir all lange überlegt, und leicht wird es mir ja auch nich. Bloß daß Gott es nu mal will.«
    »Vorwärts denn also, Mann!«
    »Besonders, weil ich so was von Herrn Professer doch überhaupt nich glauben kann. Die Leute reden viel über Herrn Professer, das wird Herr Professer woll selbst am besten wissen. Aber glauben soll der Christenmensch es nich. Nöh. Wahrlich nich.«
    »Wenn dem so ist«, bemerkte Unrat und winkte Schluß, »so mag’s denn gut sein.«
    Rindfleisch drehte seinen Zylinder, sah zur Erde.
    »Ja. Aber Gott will man, daß ich Herrn Professer da an erinner, daß er es nich will.«
    »Was will er nicht?« fragte Unrat und lächelte von unten. »Die Künstlerin Fröhlich etwa?«
    Der Schuhmacher atmete schwer unter dem Druck seiner Sendung. Seine langen, hängenden Wangen schwankten in seinem Keilbart.
    »Ich hab Sie all mal darin eingeweiht, Herr Professer«, und seine Stimme verdunkelte sich vor Geheimnis – »daß Gott es nur darum erlaubt, auf daß er –«
    »Mehr Engel kriegt. Recht so, Meister. Drum will ich denn sehn, was sich tun läßt.«
    Und ohne sein hinterhältiges Lächeln abzulegen, drängte Unrat den Herrnhuter aus der Tür.
     
    So unbefangen und ganz auf der Höhe lebte Unrat dahin – da platzten schreckliche Ereignisse.
    Ein Flurhüter hatte die Anzeige erstattet, daß das Hünengrab im Walde mutwillig beschädigt worden sei. An dem Sonntag, der seiner Schätzung nach der Zeitpunkt des Frevels gewesen war, hatte er eine Gesellschaft von jungen Leuten auf der Landstraße getroffen. Nachdem die Staatsanwaltschaft längere Zeit hindurch vergebliche Erhebungen angestellt hatte, erschien eines Montagmorgens der Flurhüter zur Seite des Direktors in der Aula des Gymnasiums. Solange die Andacht währte – mochte nun der Direktor das Kapitel aus der Bibel verlesen oder die Schule einen Choral singen –, musterte der Mann aus dem Volk von der Höhe des direktorialen Podiums die Versammlung. Er wischte sich dabei oft mit dem Handrücken die Stirn, und ihm schien nicht wohl zu sein. Schließlich mußte er noch hinabsteigen und, geführt vom Direktor, durch die Reihen der Schüler gehn. Er benahm sich dabei als Mensch, der in zu hohe Gesellschaft geraten ist, sah niemand und verbeugte sich vor Ertzum, der ihn auf den Fuß getreten hatte.
    Als jede Hoffnung, die Verbrecher im Bereich des Gymnasiums zu entdecken, vorbei schien, machte der Direktor einen äußersten Versuch. Er las erst noch ein Extrakapitel aus der Bibel; dann sprach er die Zuversicht aus, dies werde wenigstens einen der Schuldigen gerührt und zur Reue erweicht haben, und er werde sich in seinem Gewissen gedrängt fühlen, in das Sprechzimmer des Direktors zu kommen und seine Mitübeltäter anzuzeigen und der Gerechtigkeit zu überliefern. Zum Lohn für sein aufrichtiges Geständnis solle ihm selbst dann nicht nur die Strafe erlassen, sondern auch ein Geldgeschenk zugeteilt werden … Hiermit war die Andacht zu Ende.
    Schon drei Tage später geschah es, daß Unrat in einer Titus-Livius-Stunde, die die verwahrloste Klasse mit Lärm und Nebendingen ausfüllte, jäh vom Katheder emporschnellte und zu schreien anfing: »Lohmann, Ihre Privatlektüre

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