Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:
Sie sich – immer mal wieder – entleiben werden. Da ist’s, traun fürwahr, lustiger, Sie lassen sich untersuchen.«
    Vor diese Wahl gestellt, ergab sich von Gierschke. Unrat hegte nicht den geringsten Verdacht gegen ihn; er hatte ihn nur bezwingen wollen, seinen Stolz in den Staub biegen. Übrigens ward im selben Augenblick Kieselack an einem Fenster festgenommen, wie er das Paket Banknoten eben hinauswerfen wollte. Sogleich verlangte Konsul Breetpoot nachdrücklich Rechenschaft von Unrat. Aber Unrat sagte dem Konsul ganz dicht ins Gesicht und für alle übrigen unhörbar einen Namen, nur einen Namen; und Breetpoot ward dadurch besänftigt … Er kam wieder, gleich nächsten Tages, und setzte atemlos. Von Gierschke ließ acht Tage verstreichen. Kieselack zeigte sich noch ein einziges Mal und verspielte einiges. Darauf erschien seine Großmutter bei der Steuerbehörde, wo Kieselack einen kleinen Posten bekleidete, und zeigte an, daß ihr Enkel sie bestohlen habe. Endlich hatte man einen Vorwand, ihn zu entlassen. Wegen des Spielskandals hatte man es nicht gewagt. Der Schüler Kieselack versank auf den Grund. Unrat beging dies festlich, ganz für sich allein.
     
    Er benahm sich im Genuß mit tückischer Trockenheit. Im Gewühl der um die Wette nach dem Bankrott, der Ächtung, dem Galgen Laufenden schien Unrat, mit eingeknickten Knien und unerschütterlich, ein alter Schulmeister, dessen Klasse in wüstes Toben verfallen ist, und der sich hinter seinen Brillengläsern sämtliche Empörernamen merkt, um später die Zeugnisse zu verderben. Sie hatten der Herrschergewalt sich zu widersetzen gewagt; nun mochten sie, losgelassen, sich gegenseitig die Rippen einschlagen und das Genick umdrehn. Aus dem Tyrannen war endgültig der Anarchist herausgebrochen.
    Und er schien eitel auf seinen neuen Zustand, hatte eine offenkundige Vorliebe für sein eigenes Gesicht in seiner jetzigen jugendlichen Färbung. Zwanzigmal am Abend holte er einen Taschenspiegel hervor: der war in eine kleine Büchse eingelassen, mit der Inschrift »bellet«.
    Oft gedachte er in dem nächtlichen Lärm, Flitter und Halsbrechen gewisser ehemaliger Nächte. Er war im Café Central verhöhnt worden und schlich nach Haus. Von irgendeiner finstern Ecke ward ihm sein Name zugeworfen wie ein Stück Schmutz … Eine einzige Nacht war’s, da hatte er von den Menschen etwas gewollt. Sie sollten ihm sagen, wer die Künstlerin Fröhlich sei, wo sie zu finden, wie es – dies war von höchster Wichtigkeit – zu verhindern sei, daß drei Schüler und unter ihnen der allerschlimmste, Lohmann, ihrer teilhaftig würden. Niemand hatte ihm Rede gestanden. Nichts war ihm begegnet als breites Grinsen an Köpfen, auf denen der Hut fest sitzenblieb. Zwischen den kleinen »Bullerwagen«, die eine steile »Grube« hinunterrasselten, hatte er umherhüpfen müssen und von lauter hellen Kinderstimmen seinen Namen um die Ohren geschlagen bekommen. Keinen Empörer mehr hatte er, an den erleuchteten Läden hinschleichend, anzusprechen unternommen; er hatte sich die Häuser – die Häuser von fünfzigtausend in Aufruhr begriffenen Schülern – entlanggedrückt, mit einem gespannten Gefühl auf dem Scheitel, weil jeden Augenblick, wie ein Kübel Spülicht, aus einem Fenster sein Name kommen konnte! An das Ende der stillsten Straße, tief hinunter zum Stift der alten Fräulein, hatte er sich gerettet vor der nervenzerstörenden Verfolgung, Anzweiflung, Verhöhnung; hatte die Fledermäuse um seinen Hut streichen lassen und noch hier, noch hier auf seinen Namen gewartet.
    Sein Name! Jetzt gab er ihn sich selbst; setzte ihn sich auf wie einen Siegerkranz. Einem Ausgeplünderten klopfte er auf die Schulter und sagte: »Jaja, ich bin ein rechter Unrat.«
    Seine Nächte! So sahen sie nun aus. Sein Haus war das hellste in der Stadt, es war das am wichtigsten genommene, schicksalerfüllteste. Wieviel Angst, wieviel Gier, wieviel Unterwürfigkeit, wieviel fanatische Selbstvernichtungswut ließ er nun um sich her dampfen! Alles Opfer, die ihm brannten! Alle drängten sich, sie ihm anzuzünden, sich selbst ihm anzuzünden. Was sie hertrieb, war die Leere ihrer Gehirne, der Stumpfsinn der humanistisch nicht Gebildeten, ihre dumme Neugier, ihre mit Sittlichkeit schlecht zugedeckten Lüsternheiten, ihre Habgier, Brunst, Eitelkeit und zu alledem hundert verquickte Interessen. Waren es nicht Unrats Gläubiger, die ihre Verwandten, Freunde, Kunden herschleppten, in der Absicht, Unrat,

Weitere Kostenlose Bücher