Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
konnte es gar nicht mehr aushalten. »Ich empfehle dir den Schüler Vermöhlen. Richte dein Augenmerk – immer mal wieder – auf den Schüler Vermöhlen.« Was hieß denn das, bitte? Brauchte man danach noch einen Menschen zu fragen? Und wenn er so darauf brannte, daß sie mit Konsul Breetpoot fertig würde?
Die Künstlerin Fröhlich zuckte die Achseln.
Unrat, den sie nicht begriff, war zuckend entrückt in wahre Sternenstürze von Leidenschaft. Seine Liebe, die er täglich verwunden mußte, um seinen Haß zu füttern, reizte diesen Haß zu immer tollerem Fieber. Haß und Liebe machten einander irr, brünstig und schreckenvoll. Unrat hatte die lechzende Vision der ausgepreßten, um Gnade flehenden Menschheit; dieser Stadt, die zerbrach und öde stand; eines Haufens von Gold und Blut, der zerrann ins Aschgrau des Untergangs der Dinge.
Dann wieder erlitt er die Halluzination der von andern geliebten Künstlerin Fröhlich. Die Bilder der fremden Umarmungen erstickten ihn: aber alle geschahen mit dem Gesicht von Lohmann! Das Schlimmste, Hassenswerteste, was Unrat erleben konnte, war für immer zusammengedrängt in die Züge von Lohmann – dieses Schülers, der auf keine Art zu »fassen«, der nicht einmal mehr in der Stadt war.
Nach solchem Zustand ohnmächtiger Bedrängtheit übermannte ihn Mitleid mit sich und mit der Künstlerin Fröhlich. Er verhieß ihr tröstend, daß es nun bald genug sei, und daß sie sich zurückziehen wollten, den Ort verlassen und das genießen, »was sie dir schuldigermaßen haben abtreten müssen«.
»Wieviel meinst du woll, daß es is?« fragte sie abweisend. »Du merkst dir egal bloß, was wir kriegen. Aber was sie uns wieder wegnehmen, is auch nich übel. Unsere Möbel haben sie uns gepfändet, nich? Glaubst du, daß wir für die, die wir jetzt haben, auch bloß
eine
Rate bezahlt haben? Du schneidst dich eklig, wenn du das glaubst. Uns gehört das Sofakissen da und dann noch der Rahmen von dem ollen Bild: sonst gehört uns nischt.«
Sie war in grausamer Stimmung, überanstrengt durch die Hetzjagd mit Männern; hatte das Amüsante ihres Daseins grade ganz aus den Augen verloren und rächte sich an dem, der der Nächste dazu war. Unrat nahm dies erschütternd wichtig.
»Es ist meine Pflicht, deinem Wohle vorzustehen. Ich bin nicht gesonnen, mich dieser Pflicht nicht gewachsen zu zeigen … Sie sollen es mir büßen!« setzte er zischend hinzu. Sie hörte gar nicht, sie ging gereizt umher und preßte sich die Hände.
»Du bildst dir woll hoffentlich nich ein, ich mach dies blödsinnige Leben dir zu Gefallen mit, und damit du deine Männekens klein kriegst. Nee, wenn nich Mimi wäre – aber für Mimi muß ich verdienen. Daß Mimi mal anders wird als ihre Mama. Ach Gott …«
Dann ward das Kind hereingeholt in seinem weißen Nachthemdchen; und dann kam eine Tränenkrise. Unrat ließ Arme und Kopf hängen. Er mußte ausgehen, die Künstlerin Fröhlich legte sich zu Bett. Aber bis zur Stunde der Gäste war sie wieder auf der Höhe; und an Unrat machte sie alles wieder gut, sie war zart und freundschaftlich, flüsterte ihm häufig abseits etwas Vertrauliches zu, daß alle sahen, er blieb ihr die Hauptperson; machte sich lustig mit ihm, grade über die Herren, mit denen er sie im Verdacht haben konnte; schmeichelte ihn in die Täuschung hinein, als sei nie etwas Ernsthaftes vorgefallen. Ja, er war, solch ein Stündchen lang, nicht weit von dem Wahn, als habe er alle seine Erfolge ohne Gegenleistung eingeheimst. Er glaubte es ja nicht; aber er hielt sich vor, was ihn denn hindere, es zu glauben, und wo die Gegenbeweise seien. So beglückend war der Rückschlag nach seinen vorigen Qualen.
Eines heitern Tages im Frühling, des ersten heitern nach vielen Seelenkrisen, lustwandelten Unrat und die Künstlerin Fröhlich miteinander zur Stadt. Unrat ruhte sich gerade auf dem Bewußtsein aus, daß sie am Ende doch Verbündete waren: die besten, die einzigen. Die Künstlerin Fröhlich, die mit den griechischen Stunden auch ihren Ehrgeiz, Unrat zu lieben, aufgegeben hatte, schöpfte ihre Selbstachtung und ihren guten Mut aus ihrem ehrlichen Freundschaftsgefühl für Unrat. Darum lächelten sie beide auch nur über Herrn Dröge, den Krämer an der Ecke ihrer Straße, der bei ihrem Vorübergehn seine Ladentür aufriß, mit den Fäusten drohte und etwas Schimpfliches nachschrie. Auch die Obstfrau konnte bei ihrem Anblick nicht ruhig bleiben. Sie hatte Herrn Dröge sogar schon dazu
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