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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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großartiger fast erschien ihm die Entwicklung der Künstlerin Fröhlich. Von der Chanteuse des Blauen Engels zur Demi-Mondaine hohen Stils! Denn schließlich, auf den ersten Anblick war sie’s. Bei näherem Hinsehn drang dann das Kleinbürgerliche durch. Immerhin, es war alles mögliche, was hier geleistet war. Und die vielen gezogenen Hüte auf dem Wege des Ehepaars! Und all die demütige Begehrlichkeit, wo immer die Künstlerin Fröhlich ihr Parfüm hinwehte! Zwischen ihr und ihrem Publikum, der Stadt, hatte augenscheinlich eine Art von gegenseitiger Beschwindelung stattgefunden. Sie hatte sich als repräsentative Schönheit gebärdet, war allmählich dafür angesprochen worden und hatte es selbst wieder den Leuten geglaubt. So ähnlich mußte es wohl seinerzeit mit Dora Breetpoot zugegangen sein und ihrem Anspruch auf mondänen Schick? Lohmann fand es von prickelnder Ironie, wenn er sich jetzt mit der Fröhlich befaßte. Er konnte ja der Zeit gedenken, wo er Verse gemacht hatte auf beide; wo er, in der Rachsucht seines Leidens, Dora Breetpoot hatte beschmutzen wollen dadurch, daß er, mit ihr im Herzen, den Liebkosungen der andern den Geschmack düstern Lasters zu geben sich vornahm. Laster? Jetzt, da er keine Liebe mehr hatte, begriff er auch kein Laster mehr. Keine Bitterkeit seines Herzens gegen Frau Breetpoot kam Frau Unrat zugute. Nichts würde sich in ihm regen, wenn er mit ihr am Breetpootschen Haus vorbeiging. Er führte einfach eine elegante Kokotte durch die entgötterte Stadt.
    Ertzum nahm er dabei lieber nicht mit. Ertzum hatte, sobald er das gute Mädchen zu sehen kriegte, kopflos mit dem Säbel zu rasseln angefangen und eine ganz rauhe Stimme bekommen. Ertzum war imstande, gleich wieder mit schweren Gefühlen loszulegen. Für Ertzum war immer alles Gegenwart – wohingegen Lohmann in der vormittäglich leeren Konditorei, an der Seite der Künstlerin Fröhlich, aus seinem Gläschen, das nie leer ward, nichts anderes nippte als den nebelhaften Nachgeschmack der Stimmungen von einst.
    »Soll ich Ihnen etwas Kognak in die Schokolade gießen?« fragte er. »Das ist nämlich sehr gut.« Dann: »Was man von Ihnen aber alles hört, gnädige Frau!«
    »Wieso?« fragte sie wachsam.
    »Nun, Sie und unser alter Unrat sollen ja die Stadt auf den Kopf stellen und massenhaftes Unheil anrichten.«
    »Ach
das
meinen Sie. Na ja, man tut, was man kann. Die Leute amüsieren sich bei uns – obschon ich mich als Hausfrau nich selber loben will.«
    »Das sagt man. Auch ist über Unrats eigentliche Beweggründe wohl niemand im klaren. Man denkt, er benutze das Spiel für den Lebensunterhalt. Ich glaube anderes. Wir zwei, gnädige Frau, kennen ihn ja besser.«
    Die Künstlerin Fröhlich war bestürzt und schwieg.
    »Er ist der Tyrann, der lieber untergeht, als eine Beschränkung duldet. Ein Spottruf – und der dringt noch nachts durch die Purpurvorhänge seines Bettes und in seinen Traum – verursacht ihm blaue Flecke auf der Haut, und er braucht, um sich davon zu heilen, ein Blutbad. Er ist der Erfinder der Majestätsbeleidigung: er würde sie erfinden, wenn es noch zu tun wäre. Es kann kein Mensch sich ihm mit so wahnsinniger Selbstentäußerung hinwerfen, daß er ihn nicht noch als Empörer haßte. Der Menschenhaß wird in ihm zur zehrenden Qual. Daß die Lungen ringsumher einen Atem einziehn und ausstoßen, den nicht er selber regelt, durchgällt ihn mit Rachsucht, spannt seine Nerven bis zum Zerreißen. Es braucht nur noch einen Anstoß, eine zufällige Widersetzlichkeit von Umständen – ein beschädigtes Hünengrab und alles, was damit zusammenhängt; es braucht nur noch die Überreizung seiner Anlagen und Triebe, zum Beispiel durch eine Frau –, und der Tyrann, von Panik erfaßt, ruft den Pöbel in den Palast, führt ihn zum Mordbrennen an, verkündet die Anarchie!«
    Die Künstlerin Fröhlich hatte den Mund offen; was Lohmann zufriedenstellte. Er unterhielt solche Damen immer in einer Weise, daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als den Mund offenzubehalten. Übrigens lächelte er zweiflerisch. Er glaubte ja nur eine abstrakte Möglichkeit auf die Spitze zu stellen. Die Geschichte des alten lächerlichen Unrat zu erzählen, glaubte er denn doch nicht. Dazu sah er ihn noch zu sehr aus der Perspektive von unterhalb des Katheders; hatte es zu schwer, sich Ungeheuerlichkeiten als ganz wirklich vorzustellen, geschehen an dem, der ihm blöde Pfuschereien über die »Jungfrau von Orleans« zudiktiert

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