Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Fassender.«
Sie hob die Schultern.
»Was machst du denn für Augen? Du hast ja überhaupt Fieber. Unratchen, ich sag dir was, geh zu Bett und schwitz es aus. Ich schick dir Kamillentee. So ’ne blödsinnige Aufregung, als wie du im Leib hast, die legt sich auf ’n Magen, un denn prost Mahlzeit … Hörst du mich? … Ich glaub wahrhaftig, es gibt noch ’n Unglück.«
Unrat hörte nicht. Er sagte: »Aber nicht du – nicht du sollst ihn fassen!«
Er sagte es mit einer Art fürchterlichen Flehens, das sie noch nicht kannte, das sie grausig kitzelte, sie erwartungsvoll ängstete, wie ein wildes Klopfen, bei Nacht an ihrer Tür.
XVII
Die Künstlerin Fröhlich dachte am folgenden Morgen lange nach, was sie in der Stadt zu besorgen haben könne, und als sie es gefunden hatte, ging sie. Sie schielte nach ihrem Spiegelbild in jedem Schaufenster; sie hatte für ihre Toilette zweiundeinehalbe Stunde gebraucht. In ihrem Pulsschlag war ein bißchen Erwartungsfieber. Am Anfang der Siebenbergstraße, vor der Buchhandlung von Redlien, blieb sie stehen – sie war noch nie vor der Buchhandlung stehengeblieben –, senkte den Kopf über die Auslage und spürte im Nacken einen angstvollen Kitzel, als sollte sogleich jemand hineingreifen. Da sprach es ihr in den Nacken: »Gnädige Frau? Sieht man sich mal wieder?«
Sie zwang sich, indem sie sich wendete, zu anmutiger Langsamkeit in der Bewegung.
»Ach? Herr Lohmann? Sind Sie auch wieder im Lande?«
»Wenn ich dadurch nicht Ihr Mißfallen errege, gnädige Frau?«
»Wieso denn. Aber wo haben Sie bloß Ihren Freund gelassen?«
»Sprechen Sie vom Grafen Ertzum? Nun, der hat seine eigenen Wege … Aber gehn wir nicht weiter, gnädige Frau?«
»So? Und was macht er denn für gewöhnlich, Ihr Freund?«
»Er dient als Avantageur, gnädige Frau. Augenblicklich weilt er auf Urlaub hier.«
»Ach nee, was Sie sagen. Is er denn noch so nett wie früher?«
Daß Lohmann auch gar nicht aus seiner Ruhe kam, obwohl sie sich immer nur nach seinem Freund erkundigte. Sie hatte sogar das Gefühl, als machte er sich lustig. Das Gefühl hatte sie auch damals im Blauen Engel meistens gehabt bei Lohmann, und sonst bei niemand. Ihr ward ganz heiß. Er forderte sie auf, in die Konditorei einzutreten. Sie erwiderte ärgerlich: »Gehn Sie man alleine. Ich muß weiter.«
»Wir stehen schon etwas zu lange an dieser Ecke, gnädige Frau, für die scharfen Augen der Kleinstädter.«
Er machte die Tür vor ihr auf. Sie seufzte und ging raschelnd hinein. Er blieb auf dem Wege ins Nebenzimmer ein Stück hinter ihr und wunderte sich nochmals darüber, wie vorteilhaft ihre lange Taille zur Geltung kam; wie sie gut frisiert war; wie damenhaft sie ihren Rock schleppen ließ; was seither aus ihr geworden war. Dann bestellte er Schokolade.
»Sie sind ja inzwischen eine bekannte Persönlichkeit hier geworden?«
»Es geht«, sagte sie; und ablenkend: »Aber Sie? Was haben Sie eigentlich gemacht? Wo haben Sie gesteckt?«
Er berichtete bereitwillig. Er war ein wenig auf der Handelsschule gewesen in Brüssel und darauf in England als Volontär bei einem Geschäftsfreund seines Vaters.
»Sie haben sich gewiß mächtig amüsiert«, meinte sie.
»Nein. Nicht mein Fall«, sagte er dürr, sogar verächtlich, und mit dem bekannten schauspielerischen Faltenwurf im Gesicht. Sie betrachtete ihn von der Seite mit scheuer Achtung. Er war ganz schwarz angezogen und hatte den schwarzen runden Hut auf dem Kopf behalten. Sein Gesicht war noch etwas gelber und schärfer geworden; es war glattrasiert; und es richtete sich mit halbgesenkten Lidern, dunkeln und merkwürdig dreieckigen, irgendwohin, wo nichts los war. Sie wollte ihn nötigen, sie anzusehen. Auch drängte es sie, sich zu überzeugen, ob er noch seinen Schopf habe.
»Warum nehmen Sie denn Ihren Hut nich ab?« fragte sie.
»Gnädige Frau haben recht«, und er gehorchte. Jawohl; sein Haar stieg noch als Wirbel in die Höhe und fiel als Locke auf die Stirn zurück. Er betrachtete sie endlich mit ganzem Blick.
»Im Blauen Engel legten gnädige Frau noch nicht soviel Wert auf die Formen. Wie man sich verändert. Wie wir alle uns verändern. Und in der lächerlichen Zeit von zwei Jahren.«
Er sah wieder weg und dachte so sichtlich an etwas anderes, daß sie gar nichts mehr zu sagen wagte, obwohl seine Äußerung sie ein wenig gestochen hatte. Aber er hatte dabei vielleicht nicht mal sie gemeint! So hatte es geklungen.
Lohmann hatte Frau Dora Breetpoot
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