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Projekt Babylon

Titel: Projekt Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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verlassen.
    Jetzt trat ein zweiter Mann herbei. »Gehen Sie!«, wies er Peter an und deutete in Richtung des alten Hauptgebäudes. Peter rechnete sich gegen seine zwei Entführer keine Chancen zu einer Flucht aus. Selbst wenn es nicht dunkel und das Gelände nicht umzäunt gewesen wäre, hätte er in seiner körperlichen Verfassung keine zwanzig Meter sprinten können, ohne vor Anstrengung und Übelkeit zusammenzubrechen. Also setzte er sich in Bewegung und folgte dem ersten Mann, der schon einige Schritte vorausgegangen war.
    Bald erhob sich vor ihnen die nackte Betonwand der Fabrik. Bis in den vierten Stock waren Fenster zu sehen, die Scheiben waren verschmiert oder zerschlagen, von den Sprossen liefen rostbraune Schlieren herab. Sie erreichten eine Stahltür, über der eine kleine Glühbirne brannte. Es gab kein Türschild, keine Hausnummer, keine Beschriftung, keine Farben. Nur nackter Beton mit einer schwarz gefleckten Patina von vielen Jahrzehnten und eine mit Nieten beschlagene Tür, deren einst graue Lackierung durch blutige Rostgeschwüre zerfressen war. Dies ist kein Ort, an dem man eine im freundlichen Ton gehaltene Verhandlung führte, dachte Peter. Dies ist mit Sicherheit auch kein Ort, an dem man bewirtet und alte Bekannte treffen würde. Dies ist ein Ort, an dem einen niemand sieht, niemand hört, und an dem einen niemand jemals wiederfindet.
    Als sich die Tür öffnete, zuckte Peter unwillkürlich zusammen. Noch stand er hier draußen, fast frei, roch den Regen, spürte die Kühle auf seinem Gesicht. Aber gleich würden sie eintreten. Der Gefangene sah das letzte Mal den verhangenen Himmel, und nun erwartete ihn die Bastille. Er hatte nur schemenhafte Vorstellungen davon, welches finstere Schicksal ihn erwarten könnte.
    Das Innere war erleuchtet. Der erste Mann trat ein, der zweite stieß Peter vorwärts. Hinter ihm fiel die Tür mit einem schweren, metallenen Klacken ins Schloss.
    Der Gang war kahl und eng. An der Decke hingen unruhig flackernde Neonröhren, zwischen denen sich Rohre und Kabel entlangschlängelten. Die Männer trieben Peter voran. Er stellte fest, dass einzig dieser Gang erhellt war. Alle Räume und Abzweigungen, die sie passierten, lauerten in völliger Dunkelheit. Auf eine unangenehme Weise starrten ihn die Löcher an wie der Durchgang in der Höhle. Abgründe, die lebendig würden, wenn man nur lange genug in sie hineinsah... ein Bild, das ihm in letzter Zeit entschieden zu häufig über den Weg lief. Und nun war er mittendrin.
    Sie erreichten einen offenen, allein durch Gitter umgebenen Schacht und betraten einen Lastenaufzug, der aus nicht mehr als einem Stahlkäfig mit Fußboden bestand. Einer der Männer schob die Tür hinter ihnen zu, steckte einen Schlüssel in eine kleine Kontrolleinheit und betätigte einen Hebel.
    Mit einem Ruck setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung und senkte sich. Von weit über ihnen konnte Peter das Summen eines Motors hören. Metall klapperte und hallte durch den Schacht. Das Licht über ihnen entfernte sich, der Fahrstuhl sank in die Tiefe.
    Peter wunderte sich, wie es sein konnte, dass ein so altes Gebäude über unterirdische Stockwerke oder eine Tiefgarage verfügte. Da es um sie herum rasch dunkler wurde, ließen sich an den Wänden immer weniger Details erkennen, aber anscheinend gab es keine weiteren Gänge oder Türen. Die Luft wurde kälter, der Geruch nach Beton und Staub wich einem feuchtmodrigen Aroma nach Erde und alten Backsteinen. Unvermittelt kamen sie zum Stehen. Das Gitter des Fahrstuhls wurde aufgeschoben, und dann öffnete sich eine hölzerne Tür in der Wand vor ihnen. Ein rotgelber Schein schlug ihnen entgegen.
    Wortlos wurde Peter angetrieben. Sie gingen durch einen Gang, der aus großen Blöcken gemauert war, fast wie durch eine Krypta. Den Boden bedeckte ein dunkelroter Läufer, an den Wänden waren in regelmäßigen Abständen Öllampen befestigt. Der Gang endete an einer weiteren Holztür, diesmal waren altes Schnitzwerk und glänzende Messingbeschläge darauf zu erkennen. Der Mann, der den kleinen Trupp anführte, öffnete sie. Anschließend traten sie in eine geräumige Halle, acht oder zehn Meter hoch, die in das bedrohlich zuckende Lichtspiel von Flammen getaucht war. Sie entsprangen übergroßen Feuerschalen in den Klauen zweier mannshoher Skulpturen aus Schmiedeeisen. Es waren verschlungene Gebilde aus unförmigen Gliedmaßen, raubtierhaft, haarig, sehnig, verwoben mit übergroßen menschlichen und nichtmenschlichen

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