Projekt Babylon
die bis zum Boden reichten, gaben den Blick über das leicht abfallende Grundstück auf den dahinter liegenden Genfer See frei. In der Ferne verschwamm der See mit dem Horizont, und darüber ließ sich ein Gebirgsmassiv ausmachen, dessen schneebedeckte Spitzen im Licht der Sonne rotgolden leuchteten. Es war ein grandioser Ausblick.
»Herzlich willkommen«, hörten sie eine sonore Stimme. Zu ihrer Rechten, neben einem wuchtigen, ausladenden Esstisch, stand ein älterer Herr von beeindruckender Gestalt. Er war groß, kräftig gebaut und in einen edlen, anthrazitfarbenen Anzug mit Weste gekleidet. Statt einer Krawatte schmückte seinen Hals ein Seidentuch, das mit der Farbe seines Hemdes aufs Beste harmonierte. Sein Gesicht war von einem weißen, gepflegten Bart umrahmt, sein Haar mit weißen Strähnen durchsetzt. Peter bemerkte einen großen, rotgoldenen Siegelring an einem der Finger. Wie auch das Haus wirkte der Mann auf eine seltsame Art altertümlich, aber dennoch nicht antiquiert oder rückständig. Im Gegenteil. Allein sein Aussehen und das wache Blitzen seiner Augen schienen bereits einen wortlosen Kommentar über die Jugend und die Kurzlebigkeit der Zeit zu formulieren.
»Mein Name ist Steffen van Germain«, stellte er sich vor. »Es freut mich, dass Sie den Weg zu mir gefunden haben.« Er reichte allen dreien die Hand. »Madame Krüger, Professor Lavell, Monsieur Nevreux. Bitte nehmen Sie Platz. Ich habe mir die Freiheit genommen, ein frühes Abendessen zu arrangieren. Ich hoffte, dass Sie genügend Zeit haben würden, mit mir zu speisen.« Er zog einen der Stühle um die mittelalterliche Tafel ein wenig hervor und bot Stefanie an, sich zu setzen, »Zweifellos haben Sie viele Fragen, und ich werde mich bemühen, Ihnen nach meinem besten Vermögen Auskunft zu geben.«
»Haben Sie uns jene beiden Faxe geschickt, die mit ›St. G.‹ unterzeichnet waren?«, fragte Peter, noch während sie sich setzten.
»Professor Lavell«, sagte van Germain, »zielstrebig, wie er bekannt ist. Ich verstehe vollkommen, dass Ihnen nicht der Sinn nach höflicher Plauderei steht. Wie könnte er auch, nach allem, was bereits geschah. Also: Ja, die Telefaxe sind von mir. Joseph versandte sie in meinem Auftrag aus dem Postamt in Morges.«
»Was wollten Sie damit bezwecken?«
»Ich beobachtete den Fortschritt Ihrer Untersuchungen und gab Ihnen Hinweise, ohne mich aufzudrängen.«
»Dann ist Ihnen die Höhle also bestens bekannt?«
»Das Archiv des Wissens im Vue d'Archiviste , selbstverständlich. Wie sonst sollte ich die Malereien kennen und die Rose, mit der Sie Ihre Nachforschungen begannen. Und das Zeichen von Montségur. Wie Sie inzwischen wissen, hat es ja überhaupt nichts mit der legendären Burg zu tun. Aber der Name ist durchaus gefällig... Oh, da kommt Joseph. Ich habe ihn gebeten, uns einen Wein zu bringen, bevor das Essen fertig ist. Sie bleiben doch zum Diner?«
»Ich bin sicher, dass es Ihren Gefallen finden wird«, erklärte nun Joseph, der ihnen Gläser hinstellte und dann einen jungen Weißwein ausschenkte. »Ich hatte eine leichte Bouillabaisse vorgesehen, gefolgt von einem Salade Niçoise, danach Lachsfilets in einer Mangosauce, ein Filetsteak vom argentinischen Rind und schließlich zum Kaffee eine Crème Brûlée sowie eine Platte mit ausgewählten Käsen und Früchten.«
»Von mir aus bleiben wir«, sagte Patrick.
»Gut«, stimmte Peter zu, als Joseph wieder gegangen war. »Nehmen wir Ihre Einladung also an. Dann verraten Sie uns, wie Sie jederzeit wissen konnten, wie es um unsere Arbeit bestellt war. Wie haben Sie uns überwacht?«
»Die Höhle ist mir seit langer Zeit bekannt. Vielleicht genügt es zu sagen, dass sie mir am Herzen liegt. Als viel beschäftigter Mann kann ich mich ihr leider nicht persönlich widmen. Wie jeder Geschäftsmann verfüge ich daher über einige sehr gute Kontakte, die mich mit notwendigen Informationen beliefern. Sie werden verstehen, dass ich Ihnen keine weiteren Details geben kann. Auch andere einflussreiche Menschen vertrauen auf meine Diskretion. Gerade erst gestern hat eine solche Person auf ebendiesem Stuhl gesessen.«
»Sie erwähnten in Ihrem fragwürdig formulierten Schreiben, dass wir auf einen Kreis gestoßen seien und dass ein Kreis auf uns stoßen würde. Was hatte es damit auf sich?«
»Das Rätsel...« Van Germain nahm einen Schluck vom Wein und schmunzelte leicht. »In dieser spannenden Untersuchung voller Geheimnisse schien es mir passend, meinerseits
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