Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht

Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht

Titel: Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlin Kittredge
Vom Netzwerk:
dabei unter Einbeziehung von vergleichbaren Lehrbuchfällen und Beispielen die nächsten möglichen Schritte abwägen. Wieder einatmen, dabei eine Vorgehensweise auswählen; Atem anhalten, dabei die möglichen Konsequenzen analysieren; ausatmen, dabei entweder eine Entscheidung für diese Vorgehensweise treffen oder sie verwerfen und eine Alternative durchdenken. Das Ganze noch einmal, so lange, bis der nächste Schritt feststand. Und dann: handeln.
    Allerdings, wurde Jet plötzlich klar, haifeinem das alles nichts, wenn es darum ging, seinen zugeteilten Mentor zu treffen. Da gab es nur eine mögliche Vorgehensweise. Und die bestand darin, den Klingelknopf zu drücken und auf Einlass zu warten. Und dann …
    Unter dem Overall, der sie als Schülerin des zweiten Ausbildungsjahres kennzeichnete, brach ihr der Schweiß aus. Wie schlimm konnte es denn schon werden? Er war ein Proktor, mein Gott. Ein zertifizierter Held. Seine Taten hatten Geschichte geschrieben; seine Hingabe an die Bekämpfung des Verbrechens in all seinen Erscheinungsformen war überaus beeindruckend. Gefürchtet von seinen Feinden, geachtet von seinen Verbündeten. Gepriesen von den Zivilisten und bewundert (so hatte sie zumindest gehört) von Corp.
    Und doch …
    Übelkeit wallte in ihr auf, und sie krümmte sich zusammen. Immer noch starrte sie auf die geschlossene Tür. Während des ersten Ausbildungsjahres hatte sie ihn nur selten gesehen. Und bis auf das eine Mal, an ihrem ersten Tag an der Akademie, hatte sie ihm nicht mehr in die Augen geschaut. Eine Aura der Bedrohung umgab ihn wie ein Schutzanzug, und sein finsterer Schattenblick hätte aus einem Albtraum stammen können. Sie hatte furchtbare Angst vor diesem Mann.
    Und doch hatte er etwas an sich. Etwas … Unwiderstehliches.
    Der bloße Gedanke daran verursachte einen Juckreiz auf ihren Handflächen und ließ ihren Atem schneller gehen. Wie mochte er unter seiner Kapuze aussehen? Sie wusste, dass er ein energisches Kinn hatte – so viel hatte sie schon erkennen können. Aber wenn er lächelte, erreichte das Lächeln seine Augen? Haselnussbraun, entschied sie. Seine Augen waren haselnussbraun. Diese Farbe hatte sie schon immer gemocht. Sie wechselte ständig zwischen Grün und Braun, gesprenkelt mit winzigen Fleckchen von Blau. Gezähmte Wildnis. Ungefährliches Chaos.
    Ihre Wangen glühten. Um Gottes willen, krieg dich wieder ein!
    Lass mich dich kriegen, Joannie.
    Sie biss sich auf die Lippen und dachte verzweifelt immer nur das eine: Verschwinde, Papa!
    Lass mich dich kriegen.
    Sie presste die Augen fest zusammen und verbannte die Stimme, die so sehr nach ihrem Vater klang, aus ihrem Kopf. Ihr Flüstern war in den letzten zwei Monaten, seit sie das Fach Geistige Bereitschaft besuchte, schlimmer geworden. Der Unterricht zwang sie dazu, sich ihrer eigenen Gedanken bewusst zu werden. Und dabei hatte sie bemerkt, wie viele statische Störungen sie in ihrem Kopf hatte … und wie diese manchmal zu Worten und Sätzen wurden und anfingen, zu ihr zu sprechen.
    Als sie die Stimme zum ersten Mal gehört hatte, hätte sie beinahe ihren Ausbilder danach gefragt. In den Lehrbüchern stand nichts darüber – außer einer Fußnote zu den ersten Anzeichen für beginnende Schizophrenie. Auch keiner ihrer Mitschüler hatte jemals eine solche Krankheit erwähnt. Oder solche Symptome. Na ja, es gehörte aber auch keiner von ihnen zu den Geistkräften. Die waren äußerst selten und wurden in einer streng abgeschotteten Abteilung der Akademie ausgebildet. Daher hatte Jet keine andere Wahl. Sie musste davon ausgehen, dass die Stimme etwas mit ihren Schattenkräften zu tun hatte.
    Und jeder wusste, wozu die führten. Irgendwann.
    Immer noch stand Jet vor der Bürotür ihres neuen Mentors. Sie schluckte. Ich bin nicht verrückt. Jedenfalls noch nicht.
    Ich krieg dich, Joannie …
    Sei still!
    Krieg dich krieg dich krieg dich quetsch dich fress dich zum -
    »Jet?«
    Sie riss die Augen auf und rang nach Luft. Das war nicht die Stimme von Papa. Das hier war dunkler, kälter.
    »Jet!«
    Das hier machte ihr mehr Angst als ihr Vater.
    »Jet. Genug jetzt, Mädchen!«
    Ein weißes Aufblitzen. Wie ein Stern, der die Dunkelheit durchbrach. Die Stimme zog sich zurück, bis sie nur noch eine hässliche Erinnerung war, wie an einen Albtraum.
    Jet blinzelte und bemerkte, dass sie zusammengekrümmt mit dem Rücken an der Wand auf dem Boden lag. Ihre Wangen glühten … und Night, die Hände fest auf ihren Schultern, starrte

Weitere Kostenlose Bücher