Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
aller Kraft auf ihres. Es knackte, und im selben Augenblick durchfuhr sie ein stechender Schmerz.
»Du gottverdammter Hurensohn von einem verfluchten Gerechtigkeitsfreak!«
Taser lachte. »Ich hab schon gehört, dass du eine ziemliche Kratzbürste bist. Mir war klar, es würde kein einfaches Stück Arbeit werden. Also beschloss ich, dich erst mal auf die nette Art zu bitten.«
Er spreizte seine freie Hand über ihrem Gesicht, und Iridium bemerkte die silbernen Kontaktplättchen am Handgelenk und an den einzelnen Fingern. Mit Entsetzen sah sie, wie elektrische Entladungen zwischen ihnen hin- und hersprangen. Zuerst waren es nur winzige Funken, dann kleine Gewitter von der Größe eines Geldstücks. Bald hüllten knisternde blaue Blitze Tasers Hand komplett ein. »Und dann habe ich mir etwas überlegt, das dich auf jeden Fall überzeugen würde. Siehst du …«
Taser taumelte. Iridium brachte ein steifes Grinsen zustande, als sie den Schweißtropfen bemerkte, der an die Innenseite eines seiner Brillengläser spritzte. Er ließ sie los und zerrte sich mit der freien Hand die Strumpfmaske vom Mund. Darunter war er schweißgebadet und sein Gesicht rötete sich zusehends. »Was … machst … du …«, keuchte er.
Iridium spürte, wie sich ihre Hand leicht erwärmte, dort, wo sie weißglühend auf Tasers keramischem Brustpanzer lag. »Du grillst mich, und ich koche dich, Taser. Darin liegt ja fast so etwas wie Poesie.«
Eine Zeitspanne, die sich ewig hinzuziehen schien, atmeten beide weder ein noch aus. Dann gab Taser sie frei. Iridium kroch unter ihm hervor, setzte sich hin und begann, ihr Knie zu massieren.
»Teufel noch mal«, sagte Taser und schlug gegen den Verteilerkasten. Ein Funkenregen stob von seiner Hand. »So kommen wir nicht weiter. Wie machst du das?«
»Strahlungswärme von Licht. Was ist mit dir?«
»Ich mache Elektrizität.«
Iridium hob eine Augenbraue. »Du machst Elektrizität? Du bündelst die elektrische Ladung deines Körpers und stößt sie aus? Das würde dich töten.«
»Ich nehme die elektrischen Ladungen aus der Umgebung auf und sammle sie. Irgendwann entladen sie sich in einem einzigen großen Stromstoß«, erwiderte Taser. »Bist du immer so pingelig?«
»Nur schlau. Warum bist du nach Wreck City gekommen?«
»Ich hatte gehört, dass hier eine ganze Menge Gangs ihr Unwesen treiben, und sah eine Möglichkeit, etwas Gutes zu tun«, antwortete er. »Und da bin ich hier eingezogen.«
»Schwachsinn. Du hast gedacht, du kannst mich besiegen. Du wolltest Wreck City zu deinem eigenen kleinen Spielplatz machen. Alles schön neu und sauber machen, und sonntags gehen alle in die Kirche. Versuchst du, dir einen Job bei Corp zu angeln?«
»Wie ich schon sagte«, brummte er. »Ich arbeite nicht für Corp.« Er zog seine Strumpfmaske wieder herunter. »Wie auch immer. Du scheinst es jedenfalls auch nicht zu tun.«
»Weil ich nicht dämlich bin. Also, jetzt mal im Ernst, Taser … Wenn Corp einen richtigen Helden schickt, um dich zu fangen und einzulochen, wirst du dann klein beigeben? Ins Gefängnis gehen oder in die Therapie? Im Gegensatz zu deiner kleinen Tanzeinlage eben können ein paar von diesen Drecksäcken nämlich wirklich kämpfen. Und sie mischen liebend gerne Leute auf, wenn sie die Erlaubnis dazu haben. Ist für die eine Art Läuterung oder so.«
Taser drehte den Kopf zur Seite. »Sie werden mich nicht kriegen.«
Iridium lächelte und streckte ihm ihre Hand entgegen. »Wenn das so ist, dann können wir zusammenarbeiten, denke ich.«
KAPITEL 19
JET
Jet zeigt auch weiterhin eine Begabung in taktischer Unterweisung und Theorie des Heldentums. Ihre soziale Kompetenz ist dagegen geringer ausgeprägt als bei ihren gleichaltrigen Mitschülern. Ihr Branding könnte schwierig werden.
Interner Bericht zu Lernfortschritten, erstellt von Gabriel Graves, stellvertretender Superintendent der Akademie
Sie hatte Angst. Volle zwei Minuten stand sie jetzt schon vor seiner Bürotür. Jet zwang sich dazu, alle nötigen Handlungsschritte für eine Neufokussierung durchzugehen. Dann würde sie allen Mut zusammennehmen und sich bemerkbar machen. Still wiederholte sie, was sie im Grundlagenkurs Geisteshaltung gelernt hatte: tief einatmen, dabei die Umgebung in sich aufnehmen; Atem anhalten, dabei die gewonnenen Daten verinnerlichen und dem Gehirn gestatten, auf Grundlage der gewonnenen Ersteindrücke in Verbindung mit Kenntnissen und Erfahrungen eine Einschätzung zu treffen; ausatmen,
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