Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
erleichtert, dass Sam es bemerkt hatte, bevor ein Proktor es sah. Oder bevor der Alarm wegen unerlaubter Benutzung von Superkräften losschlug.
Wirklich großartig. Wäre das jetzt eine Trainingsstunde, dann würde sie zur Eissäule erstarren, noch bevor jemand »Frostbite« sagen konnte. Aber hier drin, wo sie ihre Kräfte ohne Erlaubnis nicht anwenden durfte, flossen die Schatten nur so aus ihr heraus.
»Sie sieht so normal aus. Ich halt’s nicht aus«, sagte Iri.
Frostbite stupste sie leicht an. »Denkst du, sie war die ganze Zeit über in Therapie?«
»Wahrscheinlich. So wie die durchgedreht ist, wundert es mich echt, dass sie sie überhaupt wieder rausgelassen haben.«
»Ist doch kein großes Ding. Mal abgesehen von ihrem Vorbau.« Wolf betrachtete Dawnlighter ausgiebig, offensichtlich beeindruckt von ihren körperlichen Vorzügen. »Sie ist auch nur so ein Feuerzeug. Dutzendware. Anwesende selbstverständlich ausgenommen, Schnuckelchen«, fügte er, zu Iri gewandt, hinzu.
»Leck mich, Wolfsjunge.«
»Aber gerne doch, Leuchtkäfer.«
»Na na, Kinder. Ganz brav«, sagte Red Lotus. »Wenn ihr euch nicht ordentlich benehmt, dann holen euch die bösen Proktoren.«
Jet hörte das Geplänkel kaum. Unverwandt starrte sie Dawnlighter an. Die sah so verdammt glücklich und perfekt aus, dass sich Jet der Magen umdrehte.
In ihrem Kopf ertönte Dawnlighters Stimme, genauso klar wie an jenem Tag im zweiten Jahr, als sie ihr zugerufen hatte: »Tu uns allen einen Gefallen und entferne deine DNS aus dem außermenschlichen Genpool.«
Jets Hand zitterte. Sei still!
»Du bist nichts weiter als ein dreckiger Schatten.«
Halt den Mund!
»Ich werde dafür sorgen, dass du deinen Dreck nicht überall verteilen kannst!«
Jet stand auf und schickte sich an, zu Dawnligher hinüberzugehen. Sie hörte, wie Iri »Oh, Scheiße!« rief, und das Geräusch von Stühlen, die zurückgeschoben wurden. Aber das kümmerte sie nicht. Höchste Zeit, dass sie und Dawnlighter sich mal unterhielten.
Und mehr, falls ein lauter Wortwechsel nicht genügen sollte.
Sie schlenderte weiter, die Beine locker, die Arme lässig an den Seiten herunterhängend. Sie war sich ganz sicher, dass es nicht aussah, als ob sie die Schatten rufen und ihre Creeper auf Dawnlighter loslassen würde. Als sie sich Dawnlighter auf Spuckweite genähert hatte, rief sie sie bei ihrem Decknamen.
Die Rothaarige drehte sich zu ihr um … und auf ihrem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus.
»Jet!«, zwitscherte sie – zwitscherte, war das zu glauben? – und trat aus der Reihe, um gleich darauf mädchenhaft loszukreischen: »Heeeyyy, na sieh mal einer an! Du hast ja tolle Haare, die sind soo hübsch. Lässt du dir Strähnchen färben? Ich kann mich gar nicht erinnern, dass du so honigblond warst.«
Jet blinzelte erstaunt, dann sagte sie: »Wie bitte?«
»Oh«, lachte Dawnlighter, »tut mir leid. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Wenn du sagst, dass es deine natürliche Farbe ist, dann glaube ich dir selbstverständlich! Die Wahrheit kennen nur du und dein Friseur, hab ich nicht recht?«
Jet war sich ziemlich sicher, dass ihr irgendjemand etwas in ihre Zitronenlimonade geschüttet haben musste. Wenn sie glaubte, dass diese … Barbiepuppe … Dawnlighter war, konnte sie nur auf Droge sein.
»Erzähl doch mal, wie geht’s dir?«, fragte Dawnlighter und sprühte vor Enthusiasmus. »Ich habe eine ganze Menge verpasst, aber Celestina sagt, ich kann es schnell aufholen, wenn ich mich wirklich anstrenge.« Sie kicherte und schlug eine Hand vor den Mund. »Aber das mit dir und mir wird etwas schwieriger werden. Sieh dir nur die Jungs an! Wann haben die bloß solche Muskeln bekommen?«
»Ahm … Jet?« Das war Iridium. Sie stand direkt hinter ihr. »Ist alles … in Ordnung?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.« Sie fühlte sich ziemlich verloren.
»Iridium!«, kreischte Dawnlighter hocherfreut. »Wow, siehst du gut aus! Die ganze Akne ist weg! Du bist ja eine richtige Schönheit geworden! Du wirst in null Komma nichts von den Werbeplakaten der Akademie lächeln!«
Iri und Jet tauschten verwirrte Blicke aus. »Dawnie«, sagte Iridium schließlich, »du bist so … anders.«
»Findest du?« Dawnlighters Augen verdunkelten sich für einen Moment, und auf ihrer Stirn erschien eine senkrechte Sorgenfalte. »Schlimm anders?«
»Ahm, nein, nur … anders.«
»Nun, es ist ja auch viel Zeit vergangen«, erwiderte Dawnlighter mit breitem Lächeln. »Ich
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