Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
Alarmknopf gedrückt.
»Gutes Mädchen«, sagte Holly oder versuchte es vielmehr. Aber ihre Worte gingen unter in einem Strudel von Blut.
Während sie mit dem Tode rang, wanderten Hollys letzte Gedanken überraschenderweise zu Hai. Er hielt sie ganz fest, flüsterte ihr ins Ohr, dass alles in Ordnung sei.
Natürlich war das eine Lüge. Aber Holly glaubte sie. Und als sie starb, erstarrte ihr blutiger Mund in einem sanften Lächeln.
KAPITEL 46
LUSTER
Die Zahl gewalttätiger Zwischenfälle unter den sogenannten »Außermenschlichen«, wie Corp sie bezeichnet, liegt fast 33 % über dem allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt. Ob Selbstmord, Depressionen, Schizophrenie oder eine ganze Menge anderer Störungen … alles kommt weitaus häufiger vor. Aber mir hört ja keiner zu. Niemand hört jemals auf mich.
- Matthew Ikarus, Tagebucheintrag, datiert auf 2020
»Du bist im Schokoladenfluss, Dad.« Lester blinzelte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem vor ihm schimmernden Holobildschirm zu. »Stimmt genau, Darling.«
Callie zappelte auf ihrem Sitz herum. »Schokoland ist langweilig. Können wir nicht die 3D-Einheit anschalten und Killer Commando spielen?«
»Absolutes Nein«, sagte Valerie, die gerade in einer anderen Ecke des Zimmers mit Yuriko die Medienberichte der letzten Woche durchging.
Sie wandte sich an Les. »Ich hab dir doch gesagt, dass sie von diesem Spiel Albträume bekommt.«
»Aber ich schieße doch so gerne Mutanten ins Gesicht«, beharrte Callie. »Ihr Gehirn spritzt dann überall rum.«
»Les.« Val sprach seinen Namen in jenem seufzenden Tonfall aus, der ihm unmissverständlich klarmachte, dass er heute keinerlei Zugeständnisse von ihr erwarten durfte. Nichts, was dem die Schärfe nehmen würde, was ihnen morgen bevorstand.
In diesem Augenblick wünschte sich Lester wirklich ernsthaft, er würde Alkohol trinken.
»Schon gut, schon gut«, sagte er. »Callie, wir machen jetzt Schluss mit dem Spielen, und du kannst stattdessen vor dem Schlafengehen noch eine Stunde lang Trickfilme sehen. Ist das ein fairer Vorschlag?«
Callie runzelte die Stirn und nickte. Sie war bereits so groß wie ihre Mutter, und ihre Gestalt hatte etwas Elfenhaftes an sich, aber die Augen und das dicke schwarze Haar hatte sie von ihrem Vater. Niemand konnte jemals leugnen, dass sie Vater und Tochter waren. »Dad, du lächelst ja so komisch«, sagte Callie und ließ einen Würfel rollen. Lester strubbelte in ihren Haaren.
»Das kommt davon, dass ich dich so doll lieb habe, mein Mädchen. Jetzt mach deinen Zug, damit wir endlich zu den Trickfilmen übergehen können.«
Callies holografische Spielfigur glitt über den Bildschirm. Da verschwand plötzlich das Spiel, und stattdessen blinkte ein rotes Signal auf.
»Alarm, Priorität eins«, sagte die Holostation. »Vista Villa Apartments, Penthauswohnung.«
Valerie schoss vom Sofa hoch. »Das ist bei Holly und George.«
»Ich weiß.« Lester griff bereits nach seiner Uniform. Ignorierte, dass ihm der Magen in die Kniekehle rutschte. Ignorierte den Anflug von Panik. Uniform Gürtel Stiefel volle Gefechtsausrüstung. Das Training verwandelte ihn in einen Automaten.
Valerie machte Anstalten, das Sweatshirt ausziehen, das sie über ihrem Kostüm trug, aber Lester schüttelte den Kopf. »Jemand muss bei Callie bleiben.«
»Yuriko kann …«
Lester hob die Hand. »Wenn das schlecht ausgeht, muss jemand für Callie da sein.«
Valerie zuckte zurück, als hätte er sie ins Gesicht geschlagen. »Les, so was darfst du nicht sagen.«
»Mein kleines Mädchen darf keine Waise werden, Val. Pass gut auf sie auf.« Er zog seine Frau an sich und küsste sie, hart und schnell. »Ich bin bald wieder zurück.«
Vista Villa war viel nobler als Lesters eigenes Zuhause. Nicht, dass er sich nicht etwas ebenso Opulentes hätte leisten können, aber Callie benötigte Geld für ein Studium an der Universität, falls sie sich gegen eine Ausbildung an der Akademie entschied. Er und Valerie brauchten einen Plan für den Ruhestand, der nichts mit Corp zu tun hatte.
George und Holly machten sich über so was offensichtlich überhaupt keine Gedanken.
Zwei Helden aus Team Beta waren bereits an der Tür und hämmerten mit der flachen Hand dagegen. »Blackout! Angelica! Wir haben einen Notruf erhalten – bitte antworten!«
»Aus dem Weg«, befahl Lester. Wieder verspürte er dieses ekelerregende Gefühl im Magen, als ob er sich im freien Fall befände. Er hatte gedacht, er
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