Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
verfrachtet. Vielleicht bekam er sogar eine Zelle direkt neben Doctor Hypnotic. Und dort wäre Blackout eigentlich auch so gut wie tot.
Genau wie seine Frau. Auch Angelica hatte ihren Tod verdient. Sie hatte Blackout verhätschelt, anstatt ihm zu helfen im Kampf mit dem Schatten.
Jeder, der Schwäche förderte, war ebenfalls schwach. Und jeder, der schwach war, verdiente den Tod. So einfach war das.
Night könnte ihnen allen so leicht den Tod bringen. Seine Art, den Schatten zu beherrschen, war eine ganz spezielle: Er stieß alles Licht ab. Alle anderen, egal ob Menschen oder Außermenschliche, waren in ihrem Kern aus Licht gemacht.
Und er war imstande, ihnen dieses Licht mit einem einzigen Gedanken wegzunehmen.
Neben ihm grollte Luster etwas und warf Blackout einen hasserfüllten Blick zu. Der bemerkte es gar nicht.
Luster war nicht schwach. Das war beruhigend, fand Night. Es gab nur wenige, auf deren Standhaftigkeit man im Angesicht des Feindes zählen konnte – besonders, wenn dieser Feind so leicht die Maskerade wechselte. Luster war standhaft.
Und er hatte den kleinen Schatten gerettet.
Als er an das kleine Mädchen dachte, das Luster aus seinem Schrankversteck gelockt hatte, kräuselte ein Lächeln Nights Lippen. Sie war ganz und gar vom Schatten umgeben gewesen, hatte ihn benutzt, um sich zu tarnen, als ihr Vater gekommen war, um sie zu töten. Eigentlich war es noch viel zu früh, als dass sie diese Fähigkeit besitzen konnte. Andererseits brachte Stress in aller Regel das Beste in den Außermenschlichen hervor. Natürlich nur, wenn er sie nicht in den Wahnsinn trieb oder tötete.
Das Mädchen war eine Kostbarkeit.
Er erinnerte sich an den schockierten Ausdruck in ihrem Gesicht. An die entsetzten dunklen Augen. An den Mund, verzogen zu einem stillen Schrei, als Luster sie umarmt und ihr gesagt hatte, dass sie jetzt in Sicherheit sei, dass sie sie beschützen würden.
Aber Luster war eine Lichtmacht. Was wusste er schon vom Schatten!
Nein, diese Aufgabe würde ihm zufallen, Night. Er war jetzt praktisch die Eltern des Kindes. Sie beide waren nun die einzigen Schattenmächte auf dieser Seite der Welt. Er konnte sie natürlich nicht aufziehen – sie befand sich bereits in der Waisenabteilung der Akademie, umgeben von Runnern, Psychiatern und anderen Leuten, die ihr helfen würden, mit der neuen Situation zurechtzukommen.
Und sie ruhig halten würden, oh ja! Sie war ein kleiner Schatten, und das bedeutete, sie war unberechenbar.
Es war ganz klar: Night musste es rechtzeitig zur Lehrkraft an der Akademie bringen, damit er sie unterweisen konnte. Er musste. Sie hatte niemanden sonst, an den sie sich wenden und um Hilfe mit dem Schatten bitten konnte.
Er setzte ein grimmiges Lächeln auf. Oh, er würde der Kleinen helfen. Er würde sie trainieren, die perfekte Schattenmacht aus ihr machen. Und im Gegenzug würde sie ihm dabei helfen, all die Schwäche auszurotten, die es auf der Welt gab.
So einfach war das.
In diesem Augenblick verkündete der Richter das abschließende Urteil über Blackout: lebenslänglich, ohne Bewährung, zu verbüßen in Blackbird.
Neben Night murmelte Lester: »Das ist weniger, als der Bastard verdient hat.«
»Wir alle bekommen am Ende das, was wir verdienen«, erwiderte Night.
ZWISCHENSPIEL
Garth fällt auf, dass zum Heldsein etwas mehr gehört, als ein Kostüm zu tragen. Diese Erleuchtung überkommt ihn, während er versucht, den Hieben von Elephant Mans Stoßzähnen auszuweichen.
Die tödlichen Spitzen sausen in weitem Bogen an ihm vorbei, fast nahe genug, um seine Barthaare abzuknicken. Er fällt nach hinten um, knallt mit der linken Schulter heftig auf den Boden und nutzt den Schwung, um eine Rolle zu machen. Irgendwie kommt er wieder auf die Füße und rettet sich taumelnd zur Seite, da prescht auch schon Big Ram an ihm vorbei.
Gott sei Dank kennt Big Ram nur eine Richtung: vorwärts.
Keuchend nimmt Garth wieder eine lässige Kampfhaltung ein, Ellenbogen an den Seiten, Knie leicht gebeugt, um sich Elephant Man erneut zu stellen. Doch der massige Außermenschliche macht sich gar nicht die Mühe, ihn noch einmal anzugreifen. Stattdessen sammelt er die beiden Pappkartons ein, die er aus Morse’s Pfandleihe gestohlen hat.
»Du bist verhaftet«, ruft Garth ihm mit lauter Stimme zu. »Nimm die Hände hoch!«
Elephant Man gibt ein polterndes, höhnisches Lachen von sich. »Was du nicht sagst, du Maus.« Er hievt sich die beiden Kartons auf die kräftigen
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