Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
vorstellte. War sie vielleicht sogar verletzt?
Oder Schlimmeres?
Das Echo von Hornblowers qualvollem Schrei hallte in ihrem Kopf wider, und sie sah sein abgerissenes Bein vor sich.
»Sie ist im Hauptquartier geblieben«, gab sie kühl zur Antwort.
In Steeles Augen spiegelte sich Verwirrung: »Ist sie etwa verletzt worden?«
»Nein.«
Da zog Verstehen über Steeles metallisches Gesicht. Ihre Augen nahmen einen verwunderten Ausdruck an, und sie wandte sich ab.
Eine Minute später hatte Frostbite sein Werk vollendet. Er plumpste hart auf den Hintern und wischte sich mit zitternder Hand die schweißnassen Haare aus dem Gesicht.
»Gute Arbeit«, meinte Taser und pfiff anerkennend. »Machst du auch Skulpturen für Hochzeiten?«
»Frostbite, du bleibst hier und deckst unsere Flanke«, wies Jet knapp an. »Steele, du übernimmst die Tür. Los!«
»Guter Plan«, stimmte Frostbite zu und lächelte kurz. »Schreit, wenn ihr mich braucht.«
Die drei betraten den Eistunnel. Steele ging zuerst, hinter ihr Jet, den Schluss bildete Taser. Im Augenwinkel konnte Jet sehen, wie die hypnotisierten Normalos sich gegen den Tunnel warfen und an seinen Wänden hinab zu Boden glitten. Einige von ihnen schlugen mit Händen und Armen auf das Eis ein, doch Frostbite hatte seinen Job gut gemacht: Der Tunnel hielt, und die drei erreichten die Eingangstür, ohne gegen Unschuldige kämpfen zu müssen.
Steele griff nach dem Türknopf und drehte ihn. Als nichts geschah, knurrte sie ungeduldig, ging einen Schritt zurück und trat einmal hart dagegen. Die Tür flog krachend auf.
Die drei Helden betraten Hypnotics Versteck … und das Erste, was sie sahen, waren Hunderte von Außermenschlichen, alle im Kostüm. Sie standen herum wie vergessene Spielzeugsoldaten, und in ihren Augen war nur das Weiße zu sehen. Als Jet den Blick über sie schweifen ließ, erkannte sie etliche wieder. Auch eine Handvoll gesuchter Schurken war darunter.
Und dort, ganz rechts außen: ein großgewachsener Mann. Obwohl seine Augen von Hypnotics Macht geblendet waren, strahlte seine ganze Erscheinung dennoch eine Selbstsicherheit aus, die an Arroganz grenzte. Arclight.
Neben ihm stand sein einziges Kind, die Haltung genauso arrogant wie seine, die Augen genauso weiß wie seine, verloren in Hypnotics Bann.
Iridium.
Iridiums Namen auf den Lippen, machte Jet einen Schritt auf die beiden zu.
»Nanu, Joan. Wie überaus schön, dich wiederzusehen.«
Sie fuhr nach links herum, und da war er: Doctor Hypnotic. Er trug immer noch seine graue Gefängniskleidung. Auf seinen Lippen lag ein mildes Lächeln.
»Oh, und du hast sogar Gäste mitgebracht.« Er schnippte mit den Fingern. »Kinder«, rief er laut, »geht spielen!«
Und dann fielen all die hypnotisierten Außermenschlichen gleichzeitig über sie her.
KAPITEL 49
IRIDIUM
Von all den Kindern, die ich geschaffen habe, sind sie die einzigen, die mir Furcht einflößen, ja, wirklich Angst einjagen – die mit den mentalen Kräften. Sollten sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden … wer weiß, was sie alles anrichten könnten?
- Matthew Ikarus, Tagebucheintrag, undatiert
Sie hatte eine weitere Geisel gerettet, einen weiteren Schurken bezwungen. Die Menschen jubelten ihr zu, und Bruce erwartete sie mit weit ausgebreiteten Armen. Bruce war immer da, aber in letzter Zeit hatte Iridium sich trotz seiner ständigen Anwesenheit einsam gefühlt.
Sogar, wenn sie vor sich eine Menge ihrer Bewunderer sah, die sich versammelt hatten, um die Heldin von New Chicago zu sehen.
Iridium wusste, dass sie keine anderen Freunde hatte. Nur ihren Ehemann. Ihren liebenden Ehemann. Ihren perfekten Ehemann. Der von Kindern gesprochen hatte.
Doch Iridium hatte sich in Ausreden geflüchtet. Sie konnte niemandem von den Stimmen erzählen, und ihm schon gar nicht.
Davon, wie sie jedesmal wisperten, wenn sie allein war im Dunkeln.
Verschwommen erinnerte Iridium sich daran, dass es da eine Freundin gab, die Angst vor der Dunkelheit hatte.
Dann rutschte ihr der Gedanke wieder weg, wie immer. So wie die Erinnerung an ihren Vater, an die Dunkelheit, an Freunde, die sie nie gekannt hatte.
Dies hier war, was sie sich in ihrem tiefsten Inneren immer gewünscht hatte. Hier konnte sie das sein, wozu sie bei Corp niemals die Chance bekommen hatte – eine Heldin. Eine echte Heldin.
Iridium fröstelte, als sie von der Menge zurücktrat. Die Sonne ging langsam unter, aber ihr war kalt. Bitterkalt. Ihrer Freundin war auch
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