Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
Ruhe seinen Kaffee aus. Ja, jeder Held brauchte seinen Schurken. Und Corp-Co, die Organisation, die mit jedem Tag mächtiger wurde in den Medien und in der Welt, brauchte einen Feind.
Night hoffte inständig, Frank Wurtham würde dieser Feind sein.
Wozu waren Brüder denn auch sonst gut?
Einen Monat nachdem sich die Wurthams auf einen Kaffee getroffen hatten, fand sich eine kleine Gruppe von Leuten zusammen, um über die außermenschliche Bedrohung zu sprechen. Das Meeting lief besser als erwartet, und im darauffolgenden Monat hatte sich ihre Zahl bereits mehr als verdoppelt. Und wieder einen Monat später mussten sie eine große Halle mieten, um alle unterzubringen, die gekommen waren.
Innerhalb von sechs Monaten hatte die Everyman Society mehr als tausend Mitglieder. Und das war, noch bevor Frank Wurtham seine landesweite Kampagne startete.
Als Night von Franks Bestrebungen erfuhr, dachte er nur eines: Hat lange genug gedauert!
Stand Kane, der Vorstandsvorsitzende von Corp-Co, trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch, während er Nights Bericht las. Night stand in Habt-Acht-Stellung vor ihm und wartete auf sein Urteil.
Schließlich sagte Kane: »Sind Sie sicher, dass Wurtham einem Treffen zustimmen wird? Dass er nicht seiner eigenen Propaganda glaubt?«
»Oh, das tut er, Sir«, antwortete Night. »Aber er ist auch ein Opportunist. Er wird verstehen, dass die Everyman Society ihre Ziele besser erreichen kann, wenn sie im Stillen mit Corp zusammenarbeitet.« Allerdings ließ er unerwähnt, dass von dieser heimlichen Allianz selbstverständlich auch Corp profitieren würde. Night hatte keine Mühe, sich Stan Kane und Frank Wurtham – oder vielleicht auch Franks Nummer zwei, einen Mann namens Gordon – bei einem Treffen in einer einsamen und abgelegenen Gegend vorzustellen. Auf Maui, zum Beispiel, wo sie darüber diskutierten, wie man am besten die Stärken ihrer jeweiligen Organisationen einsetzen könnte, um ihre Ziele zu erreichen – Macht und Prestige. Alles im Sinne der Sache natürlich. Was immer das auch für eine Sache sein mochte.
Helden und Schurken. Sie waren ein und dasselbe. Selbst die Masken waren austauschbar, sinnierte Night. Bradford war der Beweis dafür.
»Ich danke Ihnen für Ihren Bericht«, sagte der Vorstandsvorsitzende. »Gut zu wissen, dass wir jemanden in der Schwadron haben, dem die größeren Zusammenhänge klar sind.«
Night lächelte dünn.
»Machen Sie weiter so«, fügte Kane hinzu, »dann finden Sie sich vielleicht eines Tages im Exekutivkomitee wieder.«
Night dachte an Blackouts kleines Schattentöchterchen – sie würde in sechs kurzen Jahren an die Akademie kommen, um ausgebildet zu werden – und erwiderte: »Eigentlich, Sir, möchte ich Sie gerne um etwas anderes bitten.«
Kane zog eine Augenbraue hoch. »Oh? Was denn?« Und Night sagte es.
Kane lächelte. »Das ist es also? Nun, schon erledigt.« Diesmal war Nights Lächeln breit und echt, doch seine Augen erreichte es trotzdem nicht.
»Gefällt es Ihnen, Sir?«
Night lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück. Er war viel zu groß, aus Kunstleder und hatte Rollen. Marke Retro-Business. Der mit Abstand stilvollste Gegenstand im Raum. Der Rest war extrem spartanisch gehalten: keine 2D-Fotos oder Hologramme auf dem Schreibtisch, keine Bilder an den nackten Wänden. Auch der Fußboden war kahl. Night stützte die Ellenbogen auf die Armlehnen und legte die Fingerspitzen aneinander. »Danke, Celestina. Das wird vollkommen genügen. Bitte richten Sie dem Superintendenten meinen Dank aus.«
»Das werde ich, Sir.« Einen Herzschlag später bombardierte sie ihn mit einer Flut von Worten: »Wir sind ja alle so aufgeregt, Sir, dass Sie jetzt Mitglied des Lehrkörpers sind. Einen aktiven Helden als Lehrer zu haben …!« Das Mädchen wurde rot, und Night meinte, kleine Sterne in ihren seltsamen lila Augen glitzern zu sehen.
»Ich bin sicher, die Begeisterung wird sich legen, sobald Sie und die anderen sich in meinem Kurs ›Techniken des Straßenkampfes‹ wiederfinden.« Er lächelte kurz. »Ich habe das Gefühl, ich werde ein schwieriger Ausbilder sein.«
»Oh, Sir«, erwiderte sie kichernd, »Sie sind einer der besten Helden, die es jemals gegeben hat! Sie waren bei der Belagerung von Manhattan dabei! Sie haben die Torrent Brothers verhaftet! Sie waren im Team Alpha!« Weiter und weiter plapperte sie und listete seine Verdienste auf wie ein Groupie. Dann fügte sie hinzu: »Und ich bin sicher, Sie werden
Weitere Kostenlose Bücher