Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
bevor George seine Tirade fortführen konnte, begann er zu schwanken und fiel um. Sein Kopf krachte gegen die Metalltür des Spinds, vor dem sie standen.
»Scheiße!« Lester beugte sich über ihn und brüllte Richtung Übungsraum: »Sanitäter! Schnell! Hierher!«
Unter Georges geschlossenen Lidern rollten die Augäpfel wie wild hin und her. Lester presste zwei Finger auf die Halsschlagader. Georges Puls raste wie ein Gleiter-Motor auf Vollgas.
»Blackout. Blackout. George.« Lester schüttelte ihn. »Komm schon, Junge! Wach auf!«
Blitzschnell streckte George einen Arm aus und packte Lester vorne am Hemd. Seine Augen, jetzt weit aufgerissen, waren voller Schatten, tiefschwarz, als hätte jemand Tinte in sie hineingegossen. Lester spürte, wie sein Herz einen angstvollen Sprung machte, aber er ließ weiter zu, dass George sich an ihn klammerte.
»Mach, dass sie aufhören!«, zischte George. »Ich höre sie. Sie sind immer da. Immer. Ich kann nicht mehr gegen sie ankämpfen, Les …«
Ein Notfallteam stürzte zur Tür herein und schob Lester beiseite. Sie hatten Riechsalz dabei und einen transportablen Thermokauter, um die Wunde am Hinterkopf auszubrennen.
»Hat er das Bewusstsein verloren?«, fragte einer der Sanitäter.
»Für einen Moment.« Lester blickte in Georges ausgemergeltes Gesicht. »Er sagte, er …« Gerade noch rechtzeitig biss er sich auf die Zunge. »Er sagte, ihm sei schwindelig.«
Die Lüge kam ganz glatt über seine Lippen. Lesters Vater war ein Wahrheitsfanatiker gewesen. So sehr, dass er auch vor brennenden Zigarettenstummeln und Lederriemen nicht haltgemacht hatte. Und so hatte er Lester früh eingeschärft, dass man ein außerordentlich guter Lügner sein musste, um zu überleben.
Natürlich sollte Lester den Zwischenfall mit George melden.
Mach, dass sie aufhören! Ich höre sie. Sie sind immer da. Immer. Ich kann nicht mehr gegen sie ankämpfen …
Natürlich brauchte George Hilfe, wenn er Stimmen hörte.
Aber in seinen Augen hatte Lester echte Angst gesehen. Und er wollte nicht derjenige sein, der ihn an diesen Barbaren Moore auslieferte, damit der ihm sein Gehirn herausriss und seine innersten Gedanken und tiefsten Geheimnisse bloßlegte. Geheimnisse waren alles, was jemand wie George Greene hatte.
»Pass auf dich auf, ja?«, sagte er zu ihm. »Und sieh’s mal von der guten Seite – vielleicht kommt dich ja Holly besuchen und gibt dir einen Kuss, damit du wieder gesund wirst.«
»Leck mich, Mann!«, krächzte George mit rauer Stimme. Aber er war wieder in der Realität angelangt und brachte ein schwaches Lächeln zustande.
Lester stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Sein Teamkamerad würde wieder in Ordnung kommen.
Er musste. Sonst hätte Lester einfach nur für einen Mann gelogen, der dringend psychiatrische Hilfe brauchte und der die Menschen in tödliche Gefahr bringen konnte, die er eigentlich beschützen sollte. Und Corp würde sie beide aus dem Verkehr ziehen.
KAPITEL 10
NIGHT
Aarott ist ganz fasziniert von den Schatten. Wenn es nach mir ginge, würden wir bei allen beiden eine Lobotomie vornehmen. Ich habe entsetzliche Angst vor ihnen.
- Aus dem Tagebuch von Martin Moore, Eintrag Nr. 18
Night stürmte die Korridore im Hauptquartier der Schwadron entlang. Die degenerierten Versager und Schoßhündchen, die ihn mit ihrem langweiligen Sozialgequatsche aufhalten wollten, ignorierte er einfach.
Er hatte keine Zeit für »Wie geht’s dir?« oder »Tolle Aktion, diese Festnahme!« oder »Wer glaubst du, gewinnt dieses Jahr die Meisterschaft?«.
Blackout war im Krankentrakt.
Dem kurzen Bericht zufolge, den Night bei seiner Rückkehr aus dem Kampfeinsatz von Luster erhielt, hatte Blackout seinem Namen alle Ehre gemacht. Allerdings hatte Bradford betont, es sei nur für ein oder zwei Sekunden gewesen. Hatte übertrieben eindringlich geschildert, wie schnell die Sanitäter gekommen waren. Und wie stark Greene sei, und hey!, Kumpel, pass mal auf, wie schnell er wieder der Alte ist, tättäääh!
So brillant Luster in taktischen Dingen auch sein mochte, manchmal konnte er ein verdammter Idiot sein.
Nein, widersprach Night sich selbst, während er den letzten Korridor entlangpolterte. Kein Idiot. Lester Bradford war alles Mögliche – egozentrisch, stolzer als ein Pfau und schlau genug, sich bis ins Kleinste an die Vorschriften von Corp zu halten, wann immer jemand zusah. Aber ein Idiot? Ganz und gar nicht.
Und damit stand eines
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