Projekt Omega
mein Leben gerade so richtig gut eingerichtet«, vertraute er ihr im Plauderton an. »Und dann kommt ihr beide und zwingt mich, für eine Weile abzutauchen. Zumindest so lange, bis ein wenig Gras über den Tod von Eric und Ihrem jungen Kollegen gewachsen ist.«
O Gott , dachte Decker gequält, während das Entsetzen über Cottons Tod sie innerlich zerfraß. Trauer und ohnmächtige Wut verzerrten ihr hübsches Gesicht. Sie schrie, soweit der Knebel es zuließ, und riss an ihren Fesseln.
Vernon beobachtete ihr vergebliches Mühen mit einem ironischen Lächeln.
Schließlich ließ Decker sich resigniert zurücksinken. Sie fragte sich, was der Kerl mit ihr vorhatte. Zahllose Möglichkeiten schossen ihr durch den Kopf, eine entsetzlicher als die andere.
*
Cotton rannte die Auffahrt zur Williamsburg Bridge hinauf. Sein Ziel war Vernons ehemaliger Laden in der 42nd Street, von dem ihn noch zwei oder drei Meilen trennten.
Mit einem Taxi wäre er natürlich schneller am Ziel gewesen, doch welcher Yellow-Cab-Man würde schon für jemanden anhalten, der Nachts klatschnass und mit einer Waffe in der Hand über die Straße rannte? Auch von Passanten durfte Cotton keine Hilfe erhoffen.
Auf der Brücke beschleunigte er sein Tempo. Vorbeifahrende Autofahrer starrten ihn entgeistert an. Einen Moment lang spielte Cotton mit dem Gedanken, einen von ihnen mit vorgehaltener Waffe zum Anhalten zu zwingen, um das Fahrzeug zu requirieren, verwarf die Idee aber wieder. Zu groß erschien ihm das damit verbundene Risiko. Ein Fahrer in Panik konnte leicht eine Unfallserie auslösen, bei der es Verletzte oder gar Tote gab.
Am anderen Ufer des Flusses ging es weiter bis zur Bowery und von dort nordwärts über die 4th bis zur Park Avenue. Cotton bemühte sich um einen gleichmäßigen Laufstil, um seinen Körper möglichst lange vor Ermüdung zu bewahren.
Jeder Meter brachte ihn ein Stück näher an Decker heran. Aber was, wenn Styles sich geirrt hatte? Was, wenn Vernon gar nicht in seinem alten Laden in der 42nd war? Was, wenn er sich von dem Geld für das Sextape in einem hübschen Apartment irgendwo in New York eingerichtet hatte?
An diese durchaus reale Möglichkeit mochte Cotton gar nicht denken. Obwohl bei nüchterner Betrachtung nur ein Argument dafür sprach, dass Vernon tatsächlich an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt sein könnte: Weil er dort ungestörter das tun konnte, was immer er mit Decker vorhatte. Und irgendetwas Perverses plante er mit ihr. Ansonsten hätte er die Agentin gleich dort ermordet, wo er auch Styles getötet hatte.
Letztendlich blieb die Unsicherheit, ob er Decker überhaupt noch retten konnte, eine beständige Begleiterin Cottons.
*
Decker schnappte nach Luft. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Atemlos beobachtete sie Vernon, wie er sich cremefarbene Gummihandschuhe überstreifte.
»Was ich jetzt mit Ihnen mache, ist nicht persönlich gemeint«, versicherte er, während er den Sitz der Handschuhe überprüfte. »Ich möchte an Ihnen lediglich meine Wut über Ihre Einmischung in mein Leben abreagieren. Wissen Sie, was ich hier in der Hand halte?« Er ergriff wieder das füllerähnliche Instrument und hielt es so hoch, dass seine Gefangene es sehen konnte. »Das ist eine Tätowiernadel. Ist ein hochmodernes Gerät. Früher musste man die Motive erst mühsam mit Tinte auf die Haut zeichnen, ehe die Pigmente mit einer Nadel unauslöschlich darunter getrieben wurden. Wenn ich dagegen jetzt auf den kleinen Knopf an der Spitze drücke, wird die Farbe durch die hohle Nadel direkt unter die Haut gepumpt.« Auf Vernons Knopfdruck schoss tatsächlich eine zerstäubte Farbwolke an der Spitze heraus. »Ich fange mit Ihrer Stirn an und arbeite mich dann über Ihr Gesicht immer weiter runter. Bis irgendwann jeder Quadratzentimeter Ihres Körpers so tätowiert ist, dass Sie eine komplette Hauttransplantation bräuchten, um die Tattoos wieder loszuwerden. Ich schätze, in einer halben Woche sollte mein Werk vollendet sein. Haben Sie ein Lieblingsmotiv, mit dem ich beginnen soll? Nein? Wie wär’s dann, wenn ich Sie statt mit Bildern mit schmutzigen Wörtern verziere? Am besten fangen wir mit einem prägnanten Begriff an, den ich in Großbuchstaben quer über Ihre Stirn tätowiere. Was halten Sie von ›Hure‹?«
*
Cottons Atem ging stoßweise. Seine Muskeln brannten. Jeder Schritt wurde zur Qual. Er war die Strecke zu schnell angegangen.
Er ignorierte die Beeinträchtigungen ebenso wie das Seitenstechen, das
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