Promenadendeck
an Bord …«
»Nicht doch, Erika. Ich jage keinen bis zum Schornstein hinauf, ich erschieße keinen und ich habe auch in der Hose kein technisches Wunderwerk, das auf Knopfdruck aus allen Löchern Sperrfeuer spuckt. Wenn ich Carducci entdecke, werde ich ihm die Hand auf die Schulter legen und nett zu ihm sagen: Paolo, mach keinen Blödsinn! Du bist hier auf einem Schiff und kannst nicht weg. Und wenn wir auch in Küstennähe sind, geh nicht über Bord! Um uns sind Haie, das weißt du.«
»Und … dieser Carducci ist hier auf dem Schiff?«
»Wir haben Anlaß, das zu vermuten. Keiner kennt ihn ja, er ist ein Genie mit hundert Gesichtern. Wie er als Carducci aussieht, weiß man, da gibt es schöne Porträts der Polizei von Neapel. Aber die sind alt. Über zehn Jahre. Da war er noch so brutal und unelegant und brach in Geschäfte ein. Jetzt ist er ein Gentleman. Einige seiner Namen haben wir später aus den Passagierlisten herausgeholt: Raffael Solderna, Jim McHarris, Baron von Saalfelden, Dr. Jens Petermann … Der Gute spricht perfekt Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und natürlich Italienisch. Wenn es noch reiche russische Großfürsten gäbe, spräche er sicher auch Russisch. Ein Genie eben!«
»Und warum soll er hier an Bord sein?« Erika Treibels Stimme zitterte heftig. Sie war keine angstvolle Person, aber jetzt spürte sie eine Gänsehaut.
»Wie jeder Gauner macht auch Carducci einen Fehler: Er hält sich an einen bestimmten Rhythmus.« Dabrowski legte den Kopf etwas in den Nacken. Blinde tun so etwas gern, wenn sie angestrengt lauschen. »Ich hab' das alles wie eine Ballade auswendig gelernt: Von Mitte März bis Anfang April mit der Arconia von Southampton nach Tanger. Beute 730.000 Mark. Ende April bis Mitte Mai mit der MS Lucretia von Cadiz, an den Balearen vorbei und um Sizilien herum nach Genua. Beute rund 600.000 Mark. Von Genua vier Wochen Mittelmeer mit MS Helios. Eine gute Reise; es blieben 1,2 Millionen bei ihm. Im Juli muß er sich erholt haben, aber August war wieder Saison: Mit MS Heljefjord zu den griechischen Inseln und ins Heilige Land. Die Damen opferten 570.000 Mark. Ende August bis Mitte September war mies. Eine Fahrt mit MS Krasnojarsk, Piräus, Istanbul, Odessa, Sotschi und zurück nach Alexandrien brachte nur 390.000 Mark. Man hatte wohl Angst vor den Russen und war mit Wertsachen zurückhaltend. Aber dann!« Dabrowski streichelte seinen weißlackierten Stock. »Von Alexandria durch den Suezkanal, durchs Rote Meer und an Afrika entlang bis Mombasa mit MS Silverness . Da hingen 1,4 Millionen dran! – Merken Sie was, Erika? Da ist System drin. Carducci reist nicht kreuz und quer durch die Welt. Er bevorzugt Anschlußfahrten! Er steigt um, von Schiff zu Schiff. An diesem Fehler packen wir ihn. Zuletzt war er in der Karibik, kam mit der MS Princess Aicha durch den Panamakanal bis San Francisco. Immerhin kassierte er dabei 870.000 Mark. Es ist unfaßbar, was auf solchen Fahrten alles an Schmuck mitgeschleppt wird.«
»Und jetzt … jetzt ist er hier …«
»Die MS Atlantis ist das einzige Luxusschiff, das um diese Zeit von San Francisco zu einer längeren Reise ausläuft. Und Carducci war in San Francisco. Wenn er nicht seine eigene Logik durchbricht – und warum sollte er das? –, ist er heute an Bord gekommen. Er findet hier den am reichsten gedeckten Tisch des Jahres. Was morgen im Speisesaal an Ohren, Hälsen, Armen und Fingern blitzen wird, müßte ihn zu einem Dankesgebet hinreißen. Erika! Wie hoch schätzen Sie Ihr Inventar?«
»Ich weiß nicht.« Sie starrte Dabrowski erschrocken an. »Aber es sind schon sicherlich zwei Millionen.« Sie atmete wieder tief auf. »Glauben Sie, daß er bei mir einzubrechen versucht? Wir haben die beste Alarmanlage. Herr Ried hat damals bei der Montage alle Möglichkeiten durchgetestet. Sie funktionierte sofort. Und es ist immer Betrieb auf dem Gang, die ganze Nacht hindurch. Wer vom Fisherman's Club heraufkommt, muß hier vorbei. Außerdem verwahren alle Damen ihren Schmuck in den Tresorschließfächern.«
»Wenn sie ihn nicht brauchen! Aber sehen Sie, morgen abend, Kapitänsdinner, großer Aufmarsch, jede Dame ein geschmückter Christbaum. Nach dem Essen geht es in die Bars, in den Saal, es wird getanzt. Wer, Erika, geht dann in tiefer Nacht noch zum Zahlmeisterbüro und läßt sich sein Schließfachkästchen geben? Für die paar Stunden bis zum Morgen nimmt man die Klunker mit auf die Kabine. Und da reibt sich Carducci die
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